Kardioforum

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KARDIOFORUM 2 . 09

Aus der Klinik für die Praxis

2. Jahrgang

!

Schwerpunkt Frauenherzen

Beschichteter Ballonkatheter als neuer Therapiestandard MRT auch für Patienten mit Herzschrittmacher Haftung und Arzneimittel im Off-Label-Use

Das Porträt: Kardiologie am Klinikum Coburg Philatelistische Reise durch die Kardiologie

Meditext Dr. Antonic

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Editorial Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

dass Frauen anders sind als Männer, ist nicht neu. Geschlechtsunterschiede gibt es auch in der Mortalität. Die häufige Beobachtung, dass sich nachmittags im Café vornehmlich alleinstehende ältere Damen treffen, weil deren Männer verstorben sind, hat die demographische Forschung inzwischen längst untermauert: Überall in der Welt haben Frauen eine niedrigere Sterblichkeit als Männer. Die Differenz der durchschnittlichen Lebenserwartung zwischen Mann und Werner Waldmann Matthias Leschke Chefredakteur Herausgeber Frau beträgt derzeit 5,4 Jahre. In Umfragen geben Frauen zwar an, mehr gesundheitliche Beeinträchtigungen und physische Beschwerden zu haben. Eine jüngst vom Max-Planck-Institut für demographische Forschung publizierte Studie zeigt, dass sich der Gesundheitszustand von Frauen bereits in jüngeren Jahren als bei Männern verschlechtert. Doch selbst mit Krankheit leben Frauen länger, während Männer eher sterben. Und der Mortalitätsunterschied zwischen den Geschlechtern vergrößert sich bei gesundheitlicher Beeinträchtigung sogar noch. Die Ursachen dafür? Vielleicht ist es der Lebensstil, vielleicht ein anderes besseres Körperverständnis der Frauen. Nichtsdestotrotz ist die koronare Herzkrankheit bei Männern und Frauen nach wie vor die führende Todesursache. Bis heute galt der Myokardinfarkt in erster Linie als eine Männererkrankung. Das liegt sicherlich auch daran, dass Frauen die eigene Beschwerdesymptomatik falsch einschätzen und dass die Mediziner bei infarktverdächtigen Beschwerden bei Frauen weniger rasch an eine kardiale Problematik denken. Die Autoren dieser Ausgabe von KARDIOFORUM – darunter übrigens zwei klinisch und wissenschaftlich renommierte Kardiologinnen – beleuchten die Thematik „Frau und Herz“ unter aktuellen Aspekten. Nichts mit unserem Schwerpunktthema zu tun hat der aktuelle Beitrag des Medizinrechtsanwalts Guido Broglie über die delikate Frage, wie es denn mit der ärztlichen Haftung beim Einsatz von Off-Label-Medikamenten aussieht. Und schließlich beschäftigen wir uns mit Innovationen der Medizintechnologie: einem ICD, der ein kontinuierliches ST-Strecken-Monitoring ermöglicht, und einem Herzschrittmacher, den auch ein MRT-Scan nicht aus der Ruhe bringt. Als ebenso aufregend hat die Redaktion zwei weitere Innovationen bewertet: einen mit Paclitaxel beschichteten Ballonkatheter und den neuesten Thrombozytenaggregationshemmer Prasugrel. Zum Schluss möchten wir Sie noch zu einer Reise durch die spannende Geschichte der Kardiologie einladen. Mit dem Herzen beschäftigte sich die Menschheit schon zu Beginn ihrer Existenz. Paläolithische Felszeichnungen in Asturien sind wohl das erste Zeugnis davon, dass die Menschen das Herz als Zentrum des Körpers betrachteten. Die bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts angestellten Betrachtungen über das Herz blieben aber mehr philosophischer Natur. Mit einer Ausnahme: Leonardo da Vinci versuchte hinter viele Geheimnisse der Natur zu kommen. Seine Zeichnungen des Herzens sind frappierend. Doch konkreter wurde das Wissen erst mit William Harveys Entdeckung des Blutkreislaufs im Jahr 1628. Willem Einthoven entwickelte das Elektrokardiogramm; aber so richtig salonfähig als eigenständiges Fach der inneren Medizin wurde die Kardiologie erst um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Bernd Lüderitz – den meisten Lesern nicht nur wegen seiner rhythmologischen Kompetenz, sondern auch wegen seines historischen Wissens und seiner rhetorischen Eleganz bekannt, mit der er sein Publikum hinzureißen pflegt – nimmt uns anhand von philatelistischen Schätzen mit auf eine faszinierende medizinhistorische Reise. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Matthias Leschke

Werner Waldmann


Impressum

Chefredaktion: Werner Waldmann MA, Marion Zerbst

Herausgeber:

Redaktion: Dr. med. Mihovil Antonic, Dr. J. Roxanne Dossak,

Prof. Dr. Michael Block (Klinik Augustinum, München)

Anne Greveling, Simone Harland, Dr. Werner Kafka, Andrew Leslie

Prof. Dr. Johannes Brachmann (Klinikum Coburg, Coburg)

Layout: Ursula Pieper

Prof. Dr. Thomas Budde (Alfried Krupp Krankenhaus, Essen)

Herstellung: Elke Werner, Karolina Stuhec-Meglic

Prof. Dr. Harald Darius (Vivantes Klinikum Neukölln, Berlin)

Verlagsleitung: Dr. Magda Antonic

Prof. Dr. Bernd-Dieter Gonska (St. Vincentius-Kliniken, Karlsruhe)

Fotos: S. 4: DAK; S. 27: St. Jude Medical; S. 41: Medtronic ; S. 50 Hintergrund:

Prof. Dr. Dietrich Gulba (Krankenhaus Düren)

S. Hofschäger/pixelio; S. 51–55: Lüderitz

Prof. Dr. Dieter Horstkotte (Herz- und Diabeteszentrum NRW, Bad Oeynhausen)

Cover und alle anderen Abbildungen: MediText Dr. Antonic

Prof. Dr. Matthias Leschke (Klinikum Esslingen, Esslingen a. N.) Prof. Dr. Wolfgang Motz (Klinikum Karlsburg, Herz- und Diabeteszentrum

Druck: Kohlhammer Druckerei GmbH + Co., Stuttgart

Mecklenburg-Vorpommern) Prof. Dr. Michael Oeff (Städt. Klinikum Brandenburg, Brandenburg)

Verlag: MediText Dr. Antonic; Hagäckerstraße 4; D-73760 Ostfildern

Prof. Dr. Ernst Vester (Evangelisches Krankenhaus, Düsseldorf)

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Inhalt 4

Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen: Reagieren Frauenherzen anders?

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Koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt bei Frauen

16

Frauenherzen schlagen anders: Koronare Herzerkrankung bei Frauen

22

Hormonsubstitution und thromboembolisches Risiko der Frau

26

Zum ersten Mal möglich: Kontinuierliches ST-Strecken-Monitoring

28

Die EKG-Kolumne

30

Echokardiographischer Nachweis eines Transitthrombus bei ventiloffenem Foramen ovale

32

Prasugrel: das Thienopyridin der neuesten Generation mit verbesserter Wirksamkeit gegenüber Clopidogrel

35

Paclitaxel: Beschichteter Ballonkatheter als neuer Therapiestandard der koronaren In-Stent-Stenose

38

Somnologische Notizen

40

MRT auch für Herzschrittmacherpatienten

42

Haftung und Arzneimittel im Off-Label-Use

44

Vorreiter in der Elektrophysiologie: die Kardiologie am Klinikum Coburg

50

Philatelistische Reise durch die Kardiologie

56

Buchbesprechungen

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diese Angaben genau dem Wissensstand bei Drucklegung der Zeitschrift entsprechen.

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ISSN: 1866-1408

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Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen

Reagieren Frauenherzen anders? Elke Lehmkuhl, Vera Regitz-Zagrosek

erz-Kreislauf-Erkrankungen, vor allem koronare Herzkrankheit (KHK) und Herzinsuffizienz, sind in industrialisierten Ländern die Hauptursache für Morbidität und Mortalität bei Frauen und Männern (Abb. 1). Nachdem über Jahrzehnte Herz-Kreislauf-Erkrankungen, v. a. der Myokardinfarkt als typisch männliche Erkrankung angesehen wurden, hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass Frauen mindestens gleichermaßen davon betroffen sind, sich jedoch sowohl in Ätiologie, Pathophysiologie, klinischer Präsentation und im Krankheitsverlauf als auch in der Therapieantwort geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen Frauen und Männern finden. Die Inzidenz der KHK ist bei Männern noch immer höher als bei Frauen und der Krankheitseintritt bei Frauen noch immer ca. 10 Jahre später. Während Männer häufiger als Erstsymptom einer KHK einen Myokardinfarkt erleiden, präsentieren sich Frauen häufiger als Männer mit stabiler Angina als erstem Krankheitssymptom (1).

H Korrespondenzadresse: Dr. Elke Lehmkuhl Berliner Institut für Geschlechterforschung in der Medizin Charité, Berliner Universitätsmedizin Deutsches Herzzentrum Berlin Postanschrift: Deutsches Herzzentrum Berlin DHZB Augustenburger Platz 1 13353 Berlin Tel.: 0 30/45 93 20 60 Fax: 0 30/45 93 24 09 elehmkuhl@dhzb.de

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Andere Risikofaktorenkonstellation Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich auch in pathophysiologischen Effekten von Risikofaktoren. Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie haben bei Frauen als Risikofaktoren für eine KHK eine deutlich größere Bedeutung als bei Männern; die Mechanismen, die zur Ausbildung eines manifesten Diabetes führen, bzw. die klinischen Vorstufen sind bei Frauen und Männern unterschiedlich, und dementsprechend ergeben sich auch unterschiedliche therapeutische Ansätze. Frauen haben im akuten Infarktgeschehen eine höhere Letalität als Männer vergleichbaren Alters, wobei der größte Unterschied in den Altersgruppen unter 60 Jahren zu sehen ist (2). Auch bei der Entwicklung des Syndroms der Herzinsuffizienz ist, wie wir seit den ersten Ergebnissen der Framingham Heart Study wissen, arterieller Hypertonus mit dem größten Risiko, eine Herzinsuffizienz zu entwickeln, assoziiert, wobei Bluthochdruck bei 59 % der Frauen und 39 % der


Männer der Diagnose Herzinsuffizienz als Risikofaktor zugrunde lag (Hazard Ratio von 3,35 bei Frauen vs. 2,07 bei Männern) (3). Insgesamt sind in westlichen Industrieländern vergleichbar viele Frauen wie Männer von einer Bluthochdruckerkrankung betroffen (23,4 und 24,7 %) (4), wobei es für die Entwicklung der Erkrankung eine geschlechtsspezifische Altersabhängigkeit gibt, die von mehreren bevölkerungsbasierten Studien gezeigt werden konnte. Bis zu einem Alter von 60 Jahren ist Bluthochdruck bei Männern häufiger, in den Altersgruppen ab 70 Jahren sind deutlich mehr Frauen betroffen (4, 5).

Adipositas, arterielle Hypertonie und linksventrikuläre Hypertrophie Die arterielle Hypertonie stellt auch einen unabhängigen Risikofaktor für die Entwicklung einer linksventrikulären Hypertrophie und für Schlaganfall dar. Physiologischerweise ist die linksventrikuläre Masse bei Männern größer als bei Frauen. Mit zunehmendem Körpergewicht bzw. Adipositas steigt jedoch vor allem bei Frauen das Risiko, eine linksventrikuläre Hypertrophie zu entwickeln, an und wird bei Vorliegen einer arteriellen Hypertonie noch deutlich erhöht. Eine manifeste linksventrikuläre Hypertrophie stellt einen unabhängigen Risikofaktor für Herzinsuffizienz und Tod dar, wobei das relative Risiko bei Frauen höher ist als bei Männern (3, 6). Adipositas wird in Zukunft sowohl medizinisch als auch gesundheitsökonomisch eine dramatische Rolle spielen. In den letzten Jahren stieg in westlichen Industrieländern die Zahl adipöser Menschen stetig, zunehmend schon im Kindesalter (7). Das metabolische Syndrom (Definitionen siehe Tabelle 1) hat eine höhere Prävalenz bei Frauen als bei Männern, und aktuelle

Daten zeigen eine rasche Zunahme an Neuerkrankungen gerade bei jungen Frauen (8). Nach Angaben der Women’s-Ischemia-SyndromeEvaluation-(WISE-)Studie, einer Untersuchung an 750 Frauen mit geplanter Koronarangiographie, waren 34 % der Frauen übergewichtig, 42 % fettleibig und bei 58 % lag ein metabolisches Syndrom vor (13). Darüber hinaus gaben über 70 % der Frauen eine zu geringe körperliche Aktivität an. Der Taillenumfang ist ein unabhängiger Prädiktor der kardiovaskulären Mortalität. Es ist bekannt, dass gerade das viszerale Fettgewebe ein endokrines Organ ist, das multiple proatherosklerotische Faktoren sezerniert (14). Darüber hinaus konnte eine aktuelle Arbeit zeigen, dass gerade bei Frauen häufiger die Kombination aus Übergewicht und körperlicher Inaktivität unabhängige Prädiktoren für die Entstehung einer KHK sind (15). Hinzu kommt, dass bei Frauen häufiger ein metabolisches Syndrom als Kombination aus Adipositas, Hypertonie, ungünstigem Lipidprofil und diabetischer Stoffwechsellage vorliegt (16).

Geschlechtsspezifische Unterschiede unter Therapie

Sowohl nach invasiven Eingriffen als auch unter medikamentöser Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden geschlechtsspezifische Unterschiede beobachtet. Bekannt ist, dass das Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil wichtiger Medikamentengruppen bei Frauen und Männern, wenn auch zum Teil diskret, unterschiedlich ist (17). Pathomechanismen, die den Geschlechterunterschieden in der Pharmakotherapie zugrunde liegen, sind einmal Unterschiede in der Pharmakokinetik. Vor allem Arzneimittel, die über den Cytochrom-P-450-CYP-3A-Stoffwechselweg metabolisiert werden, haben bei Frauen und Männern eine andere Kinetik. Weiter ließen sich wichtige Unterschiede im Bereich der Pharmakodynamik nachweisen, die zum Teil auf der Interaktion mit Sexualhormon-vermittelten Effekten oder mit Produkten X-chromosomaler Gene beruhen. Östrogen- und Testosteronrezeptoren im kardiovaskulären System, die Interaktion von Sexualhormonen mit zentralen zellulären Stoffwechselwegen, die Rolle X-chromosomaler Gene und weitere molekularbiologische Mechanismen sind Abb. 1: Todesursachen in absoluten Zahlen bei Frauen und Männern in Deutschland im Jahre 2006; Fokus unterschiedlichster For(Chron. IHK = chronisch ischämische Herzerkrankung; HI = Herzinsuffizienz; AMI = akuter Myokardschungsansätze (17). Auch bei infarkt; Hypert. HerzK = hypertensive Herzkrankheit) (adaptiert nach Statistischem Bundesamt 2007). der invasivsten Therapieoption

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Tabelle 1: Definitionen des metabolischen Syndroms

NCEP ATP III 2001

AACE Klinische Kriterien

plus ≥ 2 der unten genannten Kriterien

≥ 3 der unten genannten Kriterien

keine definierte Zahl weiterer Kriterien

Adipositas BMI > 30 kg/m² oder WHR > 0,85 bei Frauen, > 0,9 bei Männern

Zentrale Adipositas Taille ≥ 88 cm bei Frauen, ≥ 102 cm bei Männern

Übergewicht/ Adipositas BMI ≥ 25 kg/m²

EGIR 1999

WHO 1999

Insulinresistenz Hyperinsulinämie

Diabetes oder eingeschränkte Glukosetoleranz oder Insulinresistenz

plus ≥ 2 der unten genannten Kriterien Zentrale Adipositas Taillenumfang ≥ 80 cm bei Frauen ≥ 94 cm bei Männern

HDL< 1,0 mmol/l < 40 mg/dl oder TG > 2,0 mmol/l > 180 mg/dl

HDL< 1,0 mmol/l < 40 mg/dl (Frauen) oder < 0,9 mmol/l < 35 mg/dl (Männer) TG ≥ 1,7 mmol/l ≥ 194 mg/dl

HDL< 1,3 mmol/l < 50 mg/dl (Frauen) oder < 1,0 mmol/l < 40 mg/dl (Männer) TG ≥ 1,7 mmol/l ≥ 194 mg/dl

HDL< 1,29 mmol/l < 50 mg/dl (Frauen) oder < 1,04 mmol/l < 40 mg/dl (Männer) TG ≥ 1,69 mmol/l ≥ 193 mg/dl

Art. Hypertonus ≥ 140/90 mmHg und/ oder Medikation

Art. Hypertonus ≥ 140/90 mmHg

Art. Hypertonus ≥ 135/85 mmHg oder Medikation

Art. Hypertonus ≥ 130/85 mmHg

NüchternPlasmaglukosespiegel ≥ 6,1 mmol/l ≥ 110 mg/dl

Nüchtern, Plasmaglukosespiegel 6,1–6,99 mmol/l 110–125 mg/dl

NüchternPlasmaglukosespiegel ≥ 6,1 mmol/l ≥ 110 mg/dl Mikroalbuminurie > 20 µg/min oder Albumin/Kreatinin-Ratio ≥ 30 mg/g

Definitionen des metabolischen Syndroms (Tabelle 1) nach der European Group for the Study of Insulin Resistance (EGIR), World Health Organisation (WHO), National Cholesterol Education Program Adult Treatment Panel III (NCEP ATP III) und American Association of Clinical Endocrinologists (AACE), deren Unterschiede vor allem in der klinischen Praktikabilität zu sehen sind, adaptiert nach (9–12).

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Familienanamnese mit Typ-II-Diabetes mellitus, KHK; Bewegungsmangel, höheres Lebensalter; Bevölkerungsgruppen mit hohem Risiko f. Diabetes mellitus Typ 2 oder KHK

zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit, der aortokoronaren Bypassoperation, zeigt sich im früh-postoperativen Verlauf eine Übersterblichkeit der jüngeren Frauen (18). Ob Frauen und Männer grundsätzlich gemäß ihrer zugrundliegenden Herz-


Kreislauf-Erkrankung vergleichbar gut, am besten leitliniengerecht, behandelt werden, wird ebenso wie z. B. die Mortalität der Herzinsuffizienz in der Literatur kontrovers diskutiert (19). In Anbetracht der vorliegenden Daten ist es zum einen natürlich von höchster Priorität, Männer und Frauen unter Berücksichtigung der Besonderheiten in der Pharmakokinetik bei Frauen leitliniengerecht zu therapieren. Zum anderen muss aber vor allem hinsichtlich der Primärprävention konsequenter gehandelt werden.

Die Notwendigkeit von Aufklärungsprogrammen für beide Geschlechter, die bereits im Kindesalter einsetzen müssen, ist nicht nur eine medizinische, sondern eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.

Klinische Arbeiten werden unterstützt durch das Kompetenznetz Herzinsuffizienz (BMBF), Graduiertenkolleg 754 und durch das Projekt Eugene Heart (EC) und Novartis-Pharma.

Literatur (1) Daly C, Clemens F, Lopez Sendon JL, Tavazzi L, Boersma E, Danchin N et al. Gender differences in the management and clinical outcome of stable angina. Circulation 2006 Jan 31; 113(4): 490–8

(11) Balkau B, Charles MA. Comment on the provisional report from the WHO consultation. European Group for the Study of Insulin Resistance (EGIR). Diabet Med. 1999 May; 16(5): 442–3

(2) Vaccarino V, Parsons L, Every NR, Barron HV, Krumholz HM. Sex-based differences in early mortality after myocardial infarction. National Registry of Myocardial Infarction 2 Participants. N Engl J Med. 1999 Jul 22; 341(4): 217–25

(12) Einhorn D, Reaven GM, Cobin RH, Ford E, Ganda OP, Handelsman Y et al. American College of Endocrinology position statement on the insulin resistance syndrome. Endocr Pract. 2003 May-Jun; 9(3): 237–52

(3) Levy D, Larson MG, Vasan RS, Kannel WB, Ho KK. The progression from hypertension to congestive heart failure. Jama 1996 May 22-29; 275(20): 1557–62

(13) Wessel TR, Arant CB, Olson MB, Johnson BD, Reis SE, Sharaf BL et al. Relationship of physical fitness vs body mass index with coronary artery disease and cardiovascular events in women. Jama 2004 Sep 8; 292(10): 1179–87

(4) Burt VL, Whelton P, Roccella EJ, Brown C, Cutler JA, Higgins M et al. Prevalence of hypertension in the US adult population. Results from the Third National Health and Nutrition Examination Survey, 1988-1991. Hypertension 1995 Mar; 25(3): 305–13 (5) Gasse C, Hense HW, Stieber J, Doring A, Liese AD, Keil U. Assessing hypertension management in the community: trends of prevalence, detection, treatment, and control of hypertension in the MONICA Project, Augsburg 1984–1995. J Hum Hypertens. 2001 Jan;15(1):27–36 (6) Liao Y, Cooper RS, Mensah GA, McGee DL. Left ventricular hypertrophy has a greater impact on survival in women than in men. Circulation 1995 Aug 15; 92(4): 805–10 (7) Weiss R, Dziura J, Burgert TS, Tamborlane WV, Taksali SE, Yeckel CW et al. Obesity and the metabolic syndrome in children and adolescents. N Engl J Med. 2004 Jun 3; 350(23): 2362–74 (8) Regitz-Zagrosek V, Lehmkuhl E, Weickert MO. Gender differences in the metabolic syndrome and their role for cardiovascular disease. Clin Res Cardiol. 2006 Mar; 95(3): 136–47 (9) Executive Summary of The Third Report of The National Cholesterol Education Program (NCEP) Expert Panel on Detection, Evaluation, And Treatment of High Blood Cholesterol In Adults (Adult Treatment Panel III). Jama 2001 May 16; 285(19): 2486–97 (10) Alberti KG, Zimmet PZ. Definition, diagnosis and classification of diabetes mellitus and its complications. Part 1: diagnosis and classification of diabetes mellitus provisional report of a WHO consultation. Diabet Med. 1998 Jul; 15(7): 539–53

(14) Yusuf S, Hawken S, Ounpuu S, Bautista L, Franzosi MG, Commerford P et al. Obesity and the risk of myocardial infarction in 27,000 participants from 52 countries: a case-control study. Lancet. 2005 Nov 5; 366(9497): 1640–9 (15) Li TY, Rana JS, Manson JE, Willett WC, Stampfer MJ, Colditz GA et al. Obesity as compared with physical activity in predicting risk of coronary heart disease in women. Circulation 2006 Jan 31; 113(4): 499–506 (16) Yusuf S, Hawken S, Ounpuu S, Dans T, Avezum A, Lanas F, et al. Effect of potentially modifiable risk factors associated with myocardial infarction in 52 countries (the INTERHEART study): case-control study. Lancet 2004 Sep 11-17; 364(9438): 937–52 (17) Regitz-Zagrosek V. Therapeutic implications of the gender-specific aspects of cardiovascular disease. Nat Rev Drug Discov. 2006 May; 5(5): 425–38 (18) Regitz-Zagrosek V, Lehmkuhl E, Hocher B, Goesmann D, Lehmkuhl HB, Hausmann H et al. Gender as a risk factor in young, not in old, women undergoing coronary artery by-pass grafting. J Am Coll Cardiol. 2004 Dec 21; 44(12): 2413–4 (19) Cleland JG, Swedberg K, Follath F, Komajda M, Cohen-Solal A, Aguilar JC, et al. The EuroHeart Failure survey programme – a survey on the quality of care among patients with heart failure in Europe. Part 1: patient characteristics and diagnosis. Eur Heart J. 2003 Mar; 24(5): 442–63

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Koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt bei Frauen Thomas Budde, Carsten Höfs rau A. M. ist 37 Jahre alt und Beamtin im Essener Rathaus. Sie ist bisher nie ernsthaft krank gewesen. Außer der Pille nimmt sie keine regelhafte Medikation ein. An normalen Tagen raucht sie seit etwa 20 Jahren ca. 8 bis 10 Zigaretten. An einem lebhaften, aber nicht außergewöhnlichen Arbeitstag gegen 11.30 Uhr verspürt A. M. plötzlich akut einsetzende Übelkeit und leichte Schmerzen im Brustkorb. Sie nimmt zunächst eine Magenverstimmung an. Nachdem die Beschwerden im Laufe einer Viertelstunde nicht ab-, sondern eher zunehmen, informiert sie ihren Vorgesetzten und bittet ihren Partner telefonisch, sie von der Arbeit nach Hause abzuholen. Als dieser A. M. vor dem Rathaus trifft, fühlt sie sich

F Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Thomas Budde Alfried Krupp Krankenhaus, Essen Klinik für Innere Medizin I und Kardiologie Alfried-Krupp-Str. 21 45117 Essen Tel.: 02 01/4 34-25 24 /-25 25 Fax: 02 01/4 34-23 76 thomas.budde@krupp-krankenhaus.de www.krupp-krankenhaus.de

V1 I V2 II

V3 III

V4 aVR

V5

aVL

aVF V6

Abb. 1: EKG A. M., weiblich, 37 Jahre: akuter Vorderwandinfarkt (STEMI)

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bereits so schlecht, dass man gemeinsam beschließt, sofort in die Notfallambulanz des Essener Alfried Krupp Krankenhauses zu fahren. Während der 20minütigen Fahrt mit dem privaten PKW erleidet A. M. zunehmende Luftnot, stärkste Übelkeit und kurzfristige Bewusstseinstrübungen. Ca. 60 bis 90 Minuten nach Auftreten der ersten Beschwerden erreicht sie mit ihrem Freund das Krankenhaus. Während dieser sein Fahrzeug auf dem Parkplatz des Krankenhauses abstellt, bricht A. M. in der Eingangshalle des Alfried Krupp Krankenhauses mit einem Herz-KreislaufStillstand zusammen. Das erste EKG durch das hinzugezogene hausinterne Notfallteam zeigt Kammerflimmern.


vor Intervention

nach Intervention (mit Stentversorgung)

Abb. 2: Koronarangiographie und Stentversorgung: akuter LAD-Verschluss A. M., weiblich, 37 Jahre: akuter Vorderwandinfarkt (STEMI)

Nach erfolgreicher Defibrillation bietet sich im EKG das Bild eines akuten Vorderwandinfarkts mit ST-Strecken-Hebungen (Abb. 1). Die leitliniengerechte Therapie des STStrecken-Hebungs-Infarktes, die in Essen innerhalb des Essener Herzinfarktverbundes stadtweit und flächendeckend durch insgesamt fünf invasiv tätige kardiologische Zentren umgesetzt wird, sieht für diese Situation eine sofortige Herzkatheteruntersuchung mit interventioneller Wiedereröffnung des Infarktgefäßes vor. Dies erfolgt umgehend. Es zeigt sich ein Verschluss des LAD, der rekanalisiert und in gleicher Sitzung mit einem Koronarstent versorgt wird (Abb. 2). 72 Stunden nach dem Ereignis verlässt A. M. das Akutkrankenhaus ohne subjektive Beschwerden und mit echokardiographisch normaler linksventrikulärer Funktion. Ein zweiter Fall: R. S. ist 28 Jahre alt und Goldschmiedin. Auch sie raucht ca. 10–15 Zigaretten pro Tag seit dem 15. Lebensjahr und nimmt die Pille. Sie hat seit Wochen wiederholt Rückenschmerzen. Gelegentlich strahlen diese auch ein wenig in einen oder beide Arme aus. Die stundenlang still sitzende Tätigkeit als Goldschmiedin ist anstrengend, die Sitz-

haltung oft verkrampft. Mehrfach bereits hat sie wegen ihrer Beschwerden einen Chiropraktiker aufgesucht. Meist haben die Schmerzen dann irgendwann aufgehört. Da sie aber immer wieder kommen, hat R. S. beschlossen, zu einem Orthopäden zu gehen. Ein Termin ist vereinbart. An einem Samstagabend ist sie auf einer Feier und bekommt gegen 20.00 Uhr wieder „ihre Rückenschmerzen“. Es ist ihr auch etwas übel, und wegen der Schmerzen hat sie das Gefühl, nicht richtig durchatmen zu können. Sie geht deshalb gegen 21.30 Uhr in die chirurgische Notfallambulanz eines Krankenhauses. Unter Bezug auf ihre sitzende Tätigkeit wird sie nach körperlicher Untersuchung mit der Diagnose „rezidivierende Rückenschmerzen“ unter Mitgabe eines schmerzstillenden Medikamentes entlassen. Da sie vorher, ohne viel zu essen, drei Gläser Wein getrunken hat und man ihr dies auch anmerkt, hat sie den Eindruck, mit ihren Beschwerden nicht völlig ernst genommen worden zu sein. Die Schmerzen nehmen eher zu. Da sie bei ihren Eltern übernachten will, berichtet sie ihnen von den jetzt doch recht heftigen Schmerzen. Die Eltern kennen ihre Tochter bisher als nicht klagsam und nehmen ihre Beschwerden ernst. Gegen

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Abb. 3: EKG 1, R. S., weiblich, 28 Jahre: akuter Vorderwandinfarkt (STEMI)

Mitternacht bringen sie ihre Tochter jetzt in die Notaufnahme des Essener Alfried Krupp Krankenhauses. Zehn Minuten nach dem dortigen Eintreffen bekommt R. S. erneut Beschwerden, diesmal auch mit heftigem Erbrechen. Sie wird bewusstlos, entwickelt eine Schnappatmung und muss kurz reanimiert und bei Kammerflimmern defibrilliert werden. Das erste EKG nach Defibrillation, noch unter Reanimationsbedingungen (Abb. 3) zeigt einen akuten ST-StreckenHebungs-Vorderwandinfarkt. Ein nach 30 Minuten unmittelbar vor Durchführung der Koronarangiographie abgeleitetes, zweites EKG (Abb. 4) zeigt bei den Sinusschlägen bereits eine Teilrückbildung der ST-Strecken-Anhebungen. Die unmittelbar anschließend gegen 1.00 Uhr nachts durchgeführte Koronarangiographie zeigt eine (bereits wieder rekanalisierte?) subtotale, proximale LAD-Stenose, die in gleicher Sitzung (noch unter Beatmungsbedingungen) rekanalisiert und mit einem Stent versorgt wird. R. S. verlässt bei komplikationslosem Verlauf am

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vierten Tag nach Aufnahme das Krankenhaus und tritt eine dreiwöchige Rehabilitation an. Danach nimmt sie ohne Probleme ihre bisherige berufliche Tätigkeit wieder auf. Zwei Fälle im gleichen Krankenhaus im Abstand von etwa 6 Wochen – sicher keine bezüglich ihrer Häufigkeit repräsentativen Situationen. Aber doch zwei Ereignisse, die in gewisser Weise für die spezifische Situation einer koronaren Herzerkrankung bei Frauen, in diesem Fall bei sehr jungen Frauen, exemplarische und auch lehrreiche Komponenten und Perspektiven beinhalten.

Klinische Problematik, Mortalität und Letalität bei Frauen mit KHK In Deutschland wie auch in den USA haben Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch für Frauen bezüglich Morbidität und Mortalität eine herausragende Bedeutung. Hier wie dort sind Herz-KreislaufErkrankungen die häufigste Todesursache. Während dies für Männer allgemein


bekannt ist, wird die Bedeutung dieser Erkrankungen für Frauen häufig (zu Unrecht!) unterschätzt. Die Sorge, z. B. an Brustkrebs zu erkranken oder zu versterben, ist viel ausgeprägter als ihre Sorge der Frauen bezüglich Herz-KreislaufErkrankungen. Im Gegensatz zu dieser Wahrnehmung starben aber nach Daten des Statistischen Bundesamtes z. B. im Jahr 2000 in Deutschland insgesamt etwa 20 000 Frauen an Brustkrebs, ca. 64 000 Frauen an Schlaganfällen und ca. 80 000 Frauen den Herztod. In Deutschland sind 40 % der gesamten Herz-Kreislauf-Erkrankungen der koronaren Herzkrankheit (KHK) zuzurechen. Zwar kommen auf eine Frau mit KHK insgesamt etwa 2 bis 3 betroffene Männer. Während das Verhältnis zwischen Männern und Frauen mit KHK im Alter von 30 bis 59 Jahren 1:> 4 beträgt, nimmt es aber bis zum Alter von 60 bis 79 Jahren auf 1:1–1,5 ab. In den USA sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen für Frauen die häufigste Ursachen für Todesfälle und Behinderungen (1, 2). Zwar hat die Sterblichkeit aufgrund einer KHK seit 1980 deutlich abgenommen, dennoch war sie aber 1995 (2) noch für 35 % der Sterbe-

fälle aus allen Ursachen verantwortlich. Bei Frauen über 65 Jahren nimmt der Anteil nach Angaben des amerikanischen National Center for Health and Statistics bis auf ein Drittel aller Sterbefälle bei Frauen zu. Zwischen 45 und 64 Jahren hat jede neunte Frau Symptome, die auf eine kardiovaskuläre Erkrankung hindeuten. In Deutschland treten bei Frauen vor dem 55. Lebensjahr beim ersten Herzinfarkt während der ersten 30 Tage 25 % mehr Todesfälle als bei Männern auf. Nach dem 65. Lebensjahr besteht beim ersten Herzinfarkt kein geschlechtsspezifischer Unterschied mehr. Im Infarktfall erreichen jüngere Frauen zwar häufiger lebend das Krankenhaus, versterben aber häufiger während des Krankenhausaufenthaltes als Männer. Junge Frauen mit akutem Koronarsyndrom wie unsere beiden oben geschilderten Patientinnen sind als absolute Hochrisikopatientinnen einzustufen. Frauen sind beim Infarkteintritt im Durchschnitt aber älter als Männer. Sie zeigen auch daher meist bei Infarkteintritt ein höhergradig ausgeprägtes Risikoprofil. Insbesondere eine positive Familienanamnese, ein Diabetes mellitus oder eine Hypertonie sind in dieser Si-

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Abb. 4: EKG 2, R. S., weiblich, 28 Jahre: akuter Vorderwandinfarkt (STEMI)

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Tabelle 1: Besonderheiten koronarer Risikofaktoren bei Frauen • Prinzipiell gelten für Frauen die gleichen Risikofaktoren wie für Männer. • Es gibt aber im „Gewicht“ und in der der Bedeutung der einzelnen Risikofaktoren sehr wichtige geschlechtsspezifische Unterschiede. • Die Ursache hierfür ist unbekannt, sie wird mit der Hormonregulation in Verbindung gebracht. • Es gibt für Frauen weniger klare medizinisch-wissenschaftliche Studien über die Bedeutung und das Management von kardiovaskulären Risikofaktoren als für Männer. • Die Herz-Kreislauf-Risikofaktoren nehmen bei Frauen gegenwärtig stärker zu als bei Männern. • Der Gesamt-Cholesterinspiegel ist bei Frauen weniger wichtig als bei Männern und weniger wichtig als der HDL-Cholesterinspiegel. • Hohe HDL-Cholesternspiegel sind bei Frauen ein bedeutender(er) Schutzfaktor. • Erhöhte Triglyzeridspiegel sind bei Frauen ein bedeutsamer(er) Risikofaktor. • Bluthochdruck bedeutet für beide Geschlechter ein Risiko, für Frauen jedoch etwas weniger. • Zigarettenrauchen ist bei beiden Geschlechtern der führende (veränderbare) Grund für koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt. • Frauen geben seltener das Rauchen auf. • Diabetes ist als Risikofaktor bei Frauen noch sehr viel gefährlicher als bei Männern. • CRP ist bei beiden Geschlechtern ein bedeutsamer Risikofaktor, hat bei Hormonersatztherapie aber eine zunehmende Bedeutung. • Die Menopause ist ein Risikofaktor, vor dem die Hormonersatztherapie nicht schützt (prim.+ sek.) Nach: Stangl et al.; Eur Heart J 2002; 23: 1738–52

tuation häufiger vorhanden als bei Männern. Die Inzidenz und Prävalenz des Herzinfarkts nehmen bei Frauen besonders oberhalb eines Alters von 45 Jahren deutlich zu (3). Frauen sind beim Erleiden des ersten Myokardinfarkts in der Regel älter als Männer (6 bis 10 Jahre) (4, 5). Frauen mit Myokardinfarkt haben häufiger eine Anamnese von Diabetes, Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Herzinsuffizienz oder eine instabilen Angina als Männer in dieser Situation (5, 6).

Kurzfristige Mortalität bei Frauen mit Herzinfarkt Die meisten Studien berichten über eine

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höhere Hospital- und 30-Tage-Mortalität nach Myokardinfarkt für Frauen im Vergleich zu Männern (7–13). Dieser Effekt gilt besonders für junge Frauen und nimmt mit dem Alter progressiv ab. Bei älteren Erwachsenen hat sich dieser Effekt ausgeglichen (9). Das schlechtere Outcome ist wesentlich mit dem (höheren) Alter und einer damit verbunden höheren Komorbidität korreliert (5, 8, 10, 12).

Erkennung eines Herzinfarkts bei Frauen Viele Herzinfarktfälle bei Frauen, insbesondere bei jungen Frauen, bleiben unerkannt (14, 15). Diese unerkannten, oft „stummen“ Myokardinfarkte werden oft später primär durch signifikante Q-Zacken im EKG erkannt. Nicht-Q-Zacken(Nicht-ST-Hebungs-)Infarkte werden dagegen auch später häufig nicht erkannt. In einem Bericht über das HERS-Trial, das die Effektivität einer Hormonersatztherapie bei 2763 postmenopausalen Frauen mit bekannter KHK untersuchte, wurde ein höherer Anteil an stummen QZacken-Infarkten für Frauen im Vergleich zu Männern berichtet (15).

Akute Infarktsymptome Die akuten Infarktsymptome unterscheiden sich bei Frauen von denen bei Männern. Hierdurch ist wahrscheinlich auch die größere Verspätung beim Suchen und Erhalten von Hilfe zu erklären. Frauen haben bei akutem Myokardinfarkt im Vergleich zu Männern häufiger Nackenoder Rückenschmerzen, Kieferschmerzen oder Schwindel zusätzlich zum Thoraxschmerz (16). Akute Thoraxschmerzen fehlen in bis zu mehr als 40 % der Fälle. Nach einer Studie sind die häufigsten Symptome Atemnot (58 %), Schwäche (55 %) und Erschöpfung (43 %) (17). Zusätzlich hatten nur ca. 30 % der Frauen prodromale Thoraxschmerzen. Die häufigsten Prodromalzeichen waren ungewöhnliche Müdigkeit (71 %), Schlafstörungen (48 %) oder Kurzatmigkeit (42 %). Nach der GUSTO-IIb-Studie mit 12 142 Patienten (18) haben Frauen beim Infarkt auch seltener ST-Strecken-Hebungen im EKG als Männer (27 % versus 37 %). Es


gab keinen Unterschied im Outcome zwischen Männern und Frauen, die einen Herzinfarkt ohne ST-Hebung hatten. Frauen mit instabiler Angina hatten aber eine geringere Häufigkeit von Todesfällen oder Reinfarkten als Männer.

Epidemiologie der (stabilen) KHK bei Frauen, klinische Symptome Es gibt erhebliche Unterschiede bezüglich der Risikofaktoren (Tabellen 1 u. 2), der Epidemiologie, Diagnosestellung, Behandlung und Prognose auch einer stabilen KHK bei Frauen im Vergleich zu Männern. Diese Unterschiede müssen besonders berücksichtigt werden, wenn man Frauen unter der Verdachtsdiagnose einer KHK untersucht oder behandelt. Die Fahrradergometrie zur Diagnostik bei KHK-Verdacht erbringt bei Frauen in größerer Häufigkeit falsch positive Ergebnisse als bei Männern. Die Ursache hierfür wird teilweise der niedrigeren KHK-Prävalenz bei Frauen in den untersuchten Populationen zugeschrieben (19). Zusätzlich werden Frauen mit KHK-Verdacht auch trotz vergleichbarer klinischer Situationen seltener den angezeigten Diagnose- oder Therapieverfahren zugeführt (20, 21).

Risikofaktoren, klinische Präsentation und Verlauf der KHK bei Frauen Die koronaren Risikofaktoren und auch die für das Auftreten einer koronaren Herzerkrankung bestimmenden Faktoren des Lebensstils weisen für Frauen im Vergleich zu Männern signifikante Unterschiede auf (Tabellen 1 u. 2). Wie oben bereits für den akuten Myokardinfarkt erwähnt, sind Frauen auch insgesamt bei Auftreten einer KHK meist etwa 10 Jahre älter als Männer. Sie haben daher auch meist ein deutlich ungünstigeres Risikoprofil (3, 4, 22). Die initiale Präsentation mit dem Symptom Thoraxschmerz ist häufiger als mit einem klar definierten klinischen Ereignis wie z. B. einem Herzinfarkt. In der Framingham-Studie war bei einer Beobachtungsdauer von 26 Jahren die Angina pectoris bei 80 % der Frauen unkompliziert, wogegen bei Männern in

Tabelle 2: Besonderheiten koronarer Risikofaktoren bei Frauen: Lebensstil • Bei Frauen vor der Menopause und ohne Bluthochdruck oder Hypercholesterinämie – bei Sport < 1 Std./Woche: rel. Risiko = 1,41 – bei Sport > 5,5 Std./Woche:rel. Risiko = 1,0 • Ohne Diabetes, Rauchen, KHK-Anamnese, Hypertonie und mit Ges.-Cholesterin < 200 mg/dl: relatives Risiko eines KHK-Todes von 0,08–0,23 • Diabetesentstehung: Hauptursache = Übergewicht • Weitere wichtige Risikofaktoren: Bewegungsmangel, Fehlernährung, Nikotinkonsum, komplette Alkoholabstinenz

66 % der Fälle eine Post-Infarkt-Angina bestand (3). Wie bei Männern ist die Qualität des Thoraxschmerzes auch bei Frauen ein wichtiger Prädiktor der angiographisch nachweisbaren Krankheitsausprägung (23, 24). Frauen haben aber seltener als Männer eine typische Angina pectoris (25). Zusätzlich ist die Prävalenz einer signifikanten KHK bei Frauen mit dem Symptom Thoraxschmerz niedriger. Im akuten Myokardinfarkt ist das führende Symptom zwar bei Männern und Frauen der Brustschmerz. Frauen stellen sich in Krankenhaus-Notaufnahmen bei Myokardinfarkt aber häufiger mit den Symptomen Erbrechen und Übelkeit vor. In einer prospektiven Studie mit 907 Patienten aus dem Jahr 2006 beurteilten Frauen ihren Thoraxschmerz bei koronarer Herzkrankheit und Angina pectoris als intensiver. Sie verwendeten andere Begriffe, um ihren Thoraxschmerz zu beschreiben (häufiger „scharf“ und „brennend“). Frauen hatten mehr Symptome ohne Schmerzbezug und auch häufiger Schmerzen oder andere Sensationen im Nacken- und Halsbereich. Angina pectoris wird bei Frauen häufiger durch Ruhe, Schlaf und mentalen Stress (26) induziert als bei Männern. Frauen unterschätzen häufiger ihr eigenes KHK-Risiko drastisch (27). Diese Einschätzung wird durch die behandelnden Ärzte noch verstärkt. So erhalten Frauen mit neu einsetzendem Thoraxschmerz bei der Erstuntersuchung auch eine weniger intensive und aggres-

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sive Diagnostik (20). Im Vergleich zu Männern erhalten Frauen mit New-OnsetThoraxschmerz seltener ein EKG (28), kardiales Monitoring oder kardiale Enzymbestimmungen. Auch ein kardiologisches Konsil oder die Verlegung auf eine kardiologische Überwachungsstation bei akuten Koronarsyndromen werden seltener veranlasst. Dagegen werden bei Frauen häufiger Betäubungsmittel und Anxiolytika verschrieben, da eine psychische, psychosomatische oder psychiatrische Genese der Beschwerden angenommen wird.

Langzeitverlauf der KHK bei Frauen In einem Register aus Rochester, Minnesota, aus den Jahren 1960 bis 1979 hatten Frauen mit Angina-pectoris-Erstdiagnose eine längere Überlebensdauer und ein niedrigeres Risiko eines konsekutiven Herzinfarktes oder eines kardialen Tods im Vergleich zu einer altersgematchten Gruppe von Männern mit der

gleichen Symptomatik (4). Bei Myokardinfarkt oder plötzlichem Herztod als Erstereignis galt dieser Unterschied nicht. Eine spätere Analyse aus Finnland mit fast 120 000 Patienten zwischen 45 und 89 Jahren (29) wies keinen prognostischen Unterschied zwischen Frauen und Männern aus. Alle Patienten/-innen hatten New-Onset-Nitro-positive oder „testpositive“ Angina bei nicht invasiver oder invasiver Testung. Bei Patienten mit testpositiver Angina unter 75 Jahren war die Sterblichkeit an KHK für Frauen höher als für Männer. Über alle Altersgruppen hinweg war eine nitropositive Angina für Männer und Frauen mit einem vergleichbaren Anstieg der koronaren Mortalität und vergleichbaren koronaren Ereignisraten vergesellschaftet. Ein belastungsabhängiger Thoraxschmerz war bei älteren Männern und Frauen mit dem gleichen Anstieg des relativen Risikos der koronaren, nicht aber der nichtkoronaren Mortalität verbunden (30).

Zusammenfassung Koronare Herzkrankheit und Herzinfarkt sind keineswegs „reine Männersache“. Risikofaktoren, anamnestische Daten, klinische Symptome und der Erfolg diagnostischer und/oder therapeutischer Maßnahmen sind aber bei Frauen und Männern unterschiedlich. Oft führt eine falsche Einschätzung zu einem späteren und schlechteren Erkennen der Erkrankung und ihrer Symptome bei Frauen. Probate Diagnose- und Therapieverfahren werden verspätet oder gar nicht eingesetzt. Hierdurch sind der Therapieerfolg und die Prognose bei Frauen mit KHK und Herzinfarkt häufig unnötig limitiert. Bessere Informations-, Ausbildungs- und Trainingsmaßnahmen für alle Beteiligten, aber auch ein konsequentes Umdenken in der Risikoeinschätzung sind nützlich und zwingend angezeigt. Literatur (1) Eaker ED, Chesebro JH, Sacks FM et al. Cardiovascular disease in women. Circulation 1993; 88: 1999 (2) Mosca L, Manson JE, Sutherland SE et al. Cardiovascular disease in women: A statement for healthcare professionals from the American Heart Association. Circulation 1997; 96: 2468 (3) Lerner DJ, Kannel WB. Patterns of coronary heart disease morbidity and mortality in the sexes: 26-year follow-up of the Framingham population. Am Heart J 1986; 111: 383 (4) Orencia A, Bailey K, Yawn BP, Kottke TE. Effect of gender on long-term outcome of angina pectoris and myocardial infarction/sudden unexpected death. JAMA 1993; 269: 2392 (5) White HD, Barbash GI, Modan M et al. After correcting for worse baseline characteristics, women treated with thrombolytic therapy for acute myocardial infarction have the same mortality and morbidity as men except for a higher incidence of hemorrhagic stroke. The Investigators of the International Tissue Plasminogen Activator/Streptokinase Mortality Study. Circulation 1993; 88: 2097

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Frauenherzen schlagen anders: Koronare Herzerkrankung bei Frauen Christiana Mira Schannwell

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n der breiten Öffentlichkeit, aber auch bei vielen Medizinern herrscht noch immer die Meinung, die koronare Herzkrankheit (KHK) sei eine typische Krankheit des Mannes im mittleren Lebensalter. Bis Mitte der 90er Jahre hielt sich der Mythos, dass Frauen aufgrund ihres hormonellen Status vor einer KHK generell geschützt seien. Erst in den letzten Jahren haben Analysen epidemiologischer Arbeiten aufgedeckt, dass die koronare Herzkrankheit in den Industrieländern bei Frauen ebenso wie bei Männern die führende Todesursache ist (1). In Deutschland waren Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems im Jahre 2006 mit knapp 50 % (209 375 Verstorbene) die häufigste Todesursache bei Frauen. Die chronische ischämische Herzkrankheit stellte mit 43 872 Verstorbenen die häufigste Einzeltodesursache dar. An zweiter Stelle lag die Herzinsuffizienz mit 32 358, an dritter Stelle der akute Myokardinfarkt mit 27 467 Verstorbenen. Im gleichen Jahr sind 17 286 Frauen an einem Mammakarzinom, 11 866 an einem Lungenkarzinom und 3887 Frauen an einem Uteruskarzinom verstorben (2). Eine erst kürzlich durchgeführte amerikanische Analyse kam zu dem Ergebnis, dass 38 % aller Todesfälle bei Frauen auf KHK zurückzuführen sind, hingegen nur 22 % auf Krebserkrankungen (1). Eine 50-jährige Frau hat ein 46 %iges Risiko, an einer KHK zu erkranken, und ein 31 %iges Risiko, daran zu versterben. Im Vergleich dazu besteht lediglich eine 2,8 %ige Wahrscheinlichkeit, dass sie an einem Mammakarzinom verstirbt (3). Die Inzidenz der KHK bei Frauen unterscheidet sich deutlich von der bei Männern. Bei Frauen entwickelt sich eine KHK im Durchschnitt zehn Jahre später als beim Mann, zeitlich korrelierend mit dem natürlichen Abfall des Östrogenserumspiegels mit Beginn der Menopause (1). Bis zur siebten Dekade ist die altersbezogene Sterblichkeit in jeder Altersgruppe bei Frauen deutlich geringer. Nach dem 75. Lebensjahr steigt die Todesrate durch einen akuten Myokardinfarkt bei Männern um das Fünffache, bei Frauen jedoch um das Neunfache (3).

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Dass absolut mehr Frauen als Männer letztendlich an der koronaren Herzerkrankung versterben, liegt daran, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Frau um ca. acht bis neun Jahre höher ist als die des Mannes (3). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass immer mehr Frauen bis zu 40 Jahre nach der Menopause leben und im Jahre 2025 ca. 390 Millionen Frauen älter als 65 Jahre sein werden, wird die Bedeutung der KHK bei Frauen auch als gesundheitsökonomischer und gesundheitspolitischer Faktor deutlich (3).

Kardiovaskuläre Risikofaktoren Vergleichende epidemiologische Studien legen den Schluss nahe, dass bis zu 90 % der kardiovaskulären Erkrankungen durch Risikofaktoren wie Dyslipoproteinämie, Hypertonie und Diabetes mellitus sowie lebensstilbedingt als Folge von Fehl- und Überernährung, Rauchen, Bewegungsmangel und Stress auftreten (4). Die Prävalenz der KHK ist unabhängig vom Geschlecht eng mit diesen Risikofaktoren verbunden. Die relative Gewichtung jedes einzelnen Faktors ist jedoch geschlechtsspezifisch unterschiedlich. Frauen weisen während ihres gesamten Lebens höhere HDL-Cholesterinspiegel auf als Männer (5). Selbst nach der Menopause ist bei Frauen nur eine insignifikante Abnahme des HDL-Cholesterinwertes zu verzeichnen (6). Prämenopausale Frauen haben zwar einen geringeren LDL-Cholesteringehalt als Männer, nach der Menopause steigt dieser jedoch dramatisch an und übersteigt den der Männer gleichen Alters. Diese starke Erhöhung des LDL-Cholesterinwertes wird u .a. als Ursache für den sprunghaften Anstieg der Manifestation einer KHK bei Frauen postmenopausal gewertet (7). Diabetes mellitus (unabhängig davon, ob insulinpflichtig oder nicht) eliminiert die prämenopausal vorhandene geschlechtsspezifische Kardioprotektion der Frau (8, 9). Das Risiko einer KHK ist somit bei prämenopausalen diabetischen Frauen identisch mit dem nichtdiabetischer Männer. Die kardiovaskuläre Mortalität einer diabetischen Frau ist im Ver-

Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Dr. med. dent. Christiana Mira Schannwell Chefärztin der Klinik für Kardiologie und Angiologie Oberhausen (EKO) Virchowstraße 20 46047 Oberhausen Tel.: 02 08/8 81 31 60/61 Fax: 02 08/8 81 31 62 mira.schannwell@eko.de

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gleich zu einer nichtdiabetischen Frau um das Drei- bis Siebenfache erhöht. Im Gegensatz dazu ist sie beim Mann mit Diabetes mellitus nur um das Zwei- bis Dreifache erhöht (8). Unabhängig vom Geschlecht besteht eine enge Korrelation zwischen der Höhe des arteriellen Blutdrucks und der Inzidenz der KHK. Vor dem 45. Lebensjahr findet sich eine arterielle Hypertonie beim Mann häufiger als bei der Frau. Mit zunehmendem Lebensalter steigt zwar der Blutdruck bei beiden Geschlechtern, nach dem 60. Lebensjahr jedoch proportional stärker bei Frauen (10). Nach dem 70. Lebensjahr ist die altersspezifische Hypertonierate bei der Frau um 14 % höher als beim Mann (10). Rauchen ist bei Frauen mit einem höheren Gesundheitsrisiko verbunden als bei Männern. Rauchen erhöht das Risiko eines Infarktes – selbst bei prämenopausalen Frauen – um das Dreifache. Frauen haben zudem größere Schwierigkeiten, mit dem Rauchen aufzuhören, als Männer, möglicherweise durch die mit einer Nikotinkarenz verbundene Gewichtszunahme (11, 12). Die Menopause – unabhängig davon, ob natürlich oder durch eine Ovarektomie entstanden – ist der stärkste geschlechtsspezifische kardiovaskuläre Risikofaktor (7, 13). Körperliche Inaktivität ist mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko und einer Verdoppelung des Risikos eines vorzeitigen Todes verknüpft (14, 15). Große epidemiologische Studien und Metaanalysen randomisierter, kontrollierter Studien konnten andererseits eindeutig nachweisen, dass regelmäßige körperliche Aktivität, insbesondere Ausdaueraktivität, mit einer Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität assoziiert ist (16–19). Daher gilt körperliche Inaktivität heute als einer der wichtigsten modifizierbaren Risikofaktoren (4, 20). Die durch maximale Belastungstests objektivierte körperliche Fitness ist ein stärkerer Prädiktor für die Gesamtmortalität als andere kardiovaskuläre Risikofaktoren (21, 22). Körperliches Training, insbesondere aerobes Ausdauertraining, hat einen leichten

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positiven Einfluss auf zahlreiche kardiovaskuläre Risikofaktoren. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass eine hohe körperliche Fitness das kardiovaskuläre Risiko bei Vorhandensein eines kardiovaskulären Risikofaktors reduzieren kann. Ergebnisse vorhandener Studien liefern keinen Hinweis auf einen geschlechtsspezifischen Unterschied (17, 23–25). Regelmäßige körperliche Aktivität und insbesondere regelmäßiges aerobes Ausdauertraining sind bei Frauen im gleichem Maße wie bei Männern kardioprotektiv wirksam (14–18, 23, 25–29).

Diagnostik Die Verdachtsdiagnose der KHK bei Frauen bleibt selbst nach exakter Anamnese eine Herausforderung für jeden Mediziner. Unterschiede in der Wertung der kardiovaskulären Risikofaktoren und der klinischen Symptomatik sowie eine verminderte Aussagekraft der üblichen diagnostischen Methoden erschweren die Diagnosestellung. Lediglich 32 % der Frauen klagen über die klassischen Anginapectoris-Zeichen – belastungsabhängige linksthorakale Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm –, die sich bei 69 % der Männer zeigen (11). Frauen berichten dagegen über Atemnot ohne Brustschmerz, ein abdominelles Druckgefühl oder Rückenschmerzen zwischen den Schulterblättern. Nicht selten sind lediglich verminderte körperliche Belastbarkeit, schnelle Ermüdung oder ein Völlegefühl im Epigastrikum erste klinische Symptome einer Erstmanifestation der KHK bei Frauen. Frauen haben zudem häufiger Ruhebeschwerden und nächtliche sowie bei psychischem Stress auftretende Symptome. Bei 79 % der Frauen mit akutem Koronarsyndrom findet sich das Symptom Erbrechen (30, 31). Das Belastungs-Elektrokardiogramm hat bei Frauen ebenfalls einen geringeren prädiktiven Wert als bei Männern. Die niedrige Sensitivität und Spezifität des Belastungs-EKGs für den Nachweis einer koronaren Makroangiopathie ist bekannt und liegt bei männlichen Patienten um 40 %. Für Frauen ist diese mit unter 25 % noch geringer. Da das Belastungs-EKG


bei Frauen zudem in 30 bis 70 % der Fälle falsch-positive Aussagen ergibt, ist es als funktioneller Ischämienachweis bei Frauen nicht verwertbar (32, 33). Das einzige nicht invasive Belastungsverfahren zum funktionellen Ischämienachweis, bei dem keine Geschlechtsunterschiede in der Sensitivität und Spezifität der Methode vorliegen, ist die Stressechokardiographie. Marwick et al. (34) fanden sowohl bei Männern als auch bei Frauen eine Sensitivität von 85 % und eine Spezifität von 77 %. Diese Ergebnisse wurden in späteren Publikationen bestätigt (33, 35). Die Stressechokardiographie ist aus diesem Grunde die Methode der Wahl bei Frauen mit Verdacht auf KHK. Als Alternative kommt die Myokardszintigraphie in Betracht. Diese ist mit einer vergleichbaren Sensitivität, aber einer geringeren Spezifität (gehäuft Brustartefakte) als die Stressechokardiographie, vor allem aber auch mit einer Strahlenbelastung verbunden. Der „Goldstandard“ für den Nachweis einer koronaren Herzerkrankung ist die Koronarangiographie. Es liegen nur wenige Untersuchungsergebnisse zu Geschlechtsunterschieden bei der diagnostischen Herzkatheteruntersuchung vor. Diese zeigen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede (33). Bei Frauen mit typischer belastungsabhängiger Anginapectoris-Symptomatik und pathologischem Belastungs-EKG wird jedoch in bis zu 50 % der Fälle ein normales Koronarangiogramm dokumentiert. Als Ursache dieses „Syndroms X“ werden eine endotheliale Dysfunktion sowie eine verminderte vasodilatatorische Kapazität der Mikrozirkulation angesehen (36). Frauen durchlaufen ein wesentlich längeres Zeitintervall, bis sie zu einer invasiven Diagnostik überwiesen werden. Der Zeitraum vom Auftreten der ersten Beschwerden bis zur Koronarangiographie ist bei Frauen mit anschließend angiographisch dokumentierter KHK durchschnittlich länger als sechs Jahre. Im Vergleich dazu liegt diese Zeitspanne bei Männern im Mittel bei etwa neun Monaten. Bei 70 % der männlichen KHK-Patienten reicht der Besuch bei einem Facharzt aus,

um die Indikation zur invasiven Koronardiagnostik zu stellen. Im Gegensatz dazu benötigten 76 % der weiblichen Patienten mit KHK mehr als zwei fachärztliche Konsultationen, um zu einer invasiven Diagnostik überwiesen zu werden. Des Weiteren werden Patientinnen seltener vom Hausarzt zur weiterführenden Abklärung unklarer thorakaler Schmerzen direkt einem Kardiologen zugewiesen und finden sich häufiger zunächst in der Praxis von Orthopäden, Neurologen und Gastroenterologen wieder (11).

Therapie Frauen sind zum Zeitpunkt der Erstmanifestation der KHK meist nicht nur älter, sondern auch kränker als männliche Patienten (37). Zum Zeitpunkt des akuten Myokardinfarktes weisen sie wesentlich mehr kardiovaskuläre Risikofaktoren (im Mittel 3,9 gegenüber 2,5 bei Männern) (38), mehr andere arteriosklerotische Manifestationsorte sowie mehr Begleiterkrankungen auf. Trotz ungenügender Datenlage besteht kein Zweifel daran, dass bei stabiler KHK unabhängig vom Geschlecht eine frühzeitige invasive Diagnostik mit nachfolgenden Revaskularisationsmaßnahmen mit einer besseren Prognose einhergeht. Darüber hinaus haben Frauen, die keine frühzeitige Diagnostik und Therapie erfahren und lediglich medikamentös behandelt werden, eine noch schlechtere Prognose als Männer. Eine Senkung der Mortalität und Morbidität der KHK bei Frauen ist nur dann möglich, wenn Frauen zeitgerecht einer Herzkatheteruntersuchung und anschließender PTCA oder Bypassoperation zugewiesen werden. Ergebnisse einer älteren Metaanalyse von 31 Studien, aber auch die der FRISC-II-Studie zeigen, dass das weibliche Geschlecht keinen Einfluss auf das Restenoserisiko hat (39). Das Geschlecht ist somit kein Risikofaktor für Restenosen. Medikamentöse Therapie Nur wenige Studien haben die medikamentöse Therapie der stabilen KHK auf Geschlechtsunterschiede hin untersucht. Aufgrund des unterschiedlichen Hor-

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monstatus, der Körperfettverteilung, des Gewichts und des generell höheren Lebensalters der Frau bei der Manifestation der KHK bestehen aller Wahrscheinlichkeit nach Unterschiede in Wirkung, Bioverfügbarkeit und Nebenwirkungen. In bisherigen Studien konnten keine wesentlichen geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Wirkung von ß-Rezeptorenblockern festgestellt werden. Untersuchungsergebnisse zeigen jedoch, dass ß-Rezeptorenblocker zum Zeitpunkt des Infarktes bei Frauen zu einer größeren Reduktion der kardiovaskulären Sterblichkeit führen als bei Männern. So war z. B. in der Timolol Myocardial Infarction Trial (40) die Letalität der Frauen um 41 % gesenkt, die der Männer hingegen lediglich um 35 %. Bei der Sekundärprävention zeigen die Ergebnisse der ISIS-2-Studie eine um 23 % reduzierte Sterblichkeit durch Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS 162,5 mg). Die Reduktion der Reinfarktrate betrug 49 %. Leider waren weniger als 25 % der integrierten Patienten Frauen, eine statistisch verlässliche geschlechtsspezifische Analyse war nicht möglich (41–43). Die aktuellen Daten zur Behandlung von Frauen mit ACE-Hemmern bei bzw. nach akutem Myokardinfarkt sind besonders bei Patientinnen mit einer Ejektionsfraktion <40 % wenig überzeugend. In der SAVE-Studie wurde bei Frauen durch Behandlung mit ACE-Hemmern nur eine Reduktion der kardiovaskulären Sterblichkeit von 4 % festgestellt. Bei Männern lag sie hingegen bei 28 % (44). Als Ursache hierfür werden insbesondere Geschlechtsunterschiede im Renin-Angiotensin-System verantwortlich gemacht (Reninblutspiegel korreliert umgekehrt proportional mit Estradiolspiegeln). In der Sekundärprävention profitieren Frauen von einer aggressiven Lipidsenkung mit Statinen. In der Care-Studie (4159 Postinfarktpatienten mit mäßig erhöhten LDL-Cholesterinwerten, Frauenanteil von 14 %) wurde ein Benefit einer lipidsenkenden Therapie im Hinblick auf die Reduktion atherosklerotischer Komplikationen bereits ab einem LDL-Cholesterinwert von 125 mg/dl nachgewiesen (45).

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Hinsichtlich der Behandlung mit Nitraten liegen keine Studien zu geschlechtsspezifischen Unterschieden vor (46). Frauen, die Kalziumantagonisten zur Blutdruckkontrolle einnahmen, hatten nach sechs Jahren ein höheres Infarktrisiko als Frauen, die mit einem anderen antihypertensiven Medikament behandelt wurden (49). Verapamil wird bei Frauen wegen höherer Aktivität des Zytochrom-P-450Systems rascher metabolisiert als bei Männern, Amlodipin führt bei Frauen zu einer schnelleren Blutdrucksenkung (48). Invasive Therapie Zahlreiche Untersuchungen haben ergeben, dass Frauen nach akutem Myokardinfarkt eine erhöhte Frühletalität im Vergleich zu Männern aufweisen (37, 49). Die Prähospitalphase des akuten Myokardinfarktes ist bei Frauen verlängert. In einer Beobachtungsstudie mit 1737 Patienten dauerte es bei Frauen im Mittel 153 Minuten länger als bei Männern, bis nach Schmerzbeginn eine Klinik erreicht wurde (33). Die verspätete Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe im Rahmen eines akuten Infarkts wirkt sich ungünstig auf die Erhaltung von Myokardgewebe und die Prognose aus. Es besteht u. a. die Gefahr einer höheren arrhythmiebedingten Prähospitalmortalität und eines verspäteten Einsetzens einer Revaskularisationstherapie. Dies mag die höhere Infarktsterblichkeit von Frauen in früheren Studien miterklären. Auch im Verlauf des akuten Myokardinfarkts zeigen sich Unterschiede zwischen Frauen und Männern: Frauen fielen in der GUSTO-IIbStudie durch eine höhere Komplikationsrate während des Krankenhausaufenthaltes auf und hatten 30 Tage nach dem Ereignis mit 6,0 % eine höhere Letalität als Männer mit 4,0 % (50). Die PAMI-I-Studie (51) war eine prospektive, randomisierte Multicenterstudie, die die Thrombolysetherapie (t-PA) mit primärer PTCA bei akutem Infarkt verglich und außerdem eine der ersten geschlechtsbezogenen Analysen durchführte (27 % der 395 Studienteilnehmer waren Frauen). Die Krankenhaussterblichkeit der Frauen war um das 3,3-Fache


höher als die der Männer. Die erhöhte Letalität war ausschließlich bei den mit t-PA behandelten Patientinnen nachweisbar. In der PTCA-Gruppe bestand kein signifikanter Unterschied zwischen Frauen und Männern. Neben der verbesserten Prognose hatten Frauen der PTCA-Gruppe in der PAMI-I-Studie auch weniger schwerwiegende periphere vaskuläre Komplikationen als die Frauen mit t-PALyse (in der Leiste: 3,8 % versus 1,2 %, zerebrale Blutungen: 5,3 % im Gegensatz zu 0,7 % der Männer). Alle sieben zerebralen Blutungen wurden in der mit t-PA-Lyse behandelten Patientengruppe dokumentiert (51). Entsprechend der PAMI-I-Studie zeigten sich allerdings auch bei unseren weiblichen Patienten nach Akutinterventionen häufiger periphere Komplikationen in der Leiste. Bis in die Mitte der 90er Jahre war die Wahrscheinlichkeit einer Frau, nach einem Myokardinfarkt einer Herzkatheteruntersuchung zugeführt zu werden, geringer als die eines Mannes. In der MIDAS-, MITI- und SAVE-Studie (44, 52, 53) bestand dieser Unterschied auch noch, wenn Alter und Begleiterkrankungen in Betracht gezogen wurden. Entsprechend neueren Studienergebnissen – z .B. FRISC-IIStudie (54) – zeigt sich, dass Frauen, wenn erst einmal die Diagnose eines akuten Myokardinfarktes gestellt worden ist, von einer frühzeitigen invasiven Diagnostik und frühzeitigen Revaskularisation (PTCA/Stent) profitieren. Diese Strategie ist eindeutig mit einer Reduktion der periinfarziellen Mortalität verbunden und es bestehen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr. Des Weiteren scheinen Frauen geringfügig mehr von der Behandlung mit Glykoprotein-II-b/III-a-Rezeptorantagonisten zu profitieren als Männer. Die insgesamt verbesserte Prognose in den letzten Jahren ist mit größter Wahrscheinlichkeit auf die Anwendung von Stents und die verbesserte thrombozytenhemmende Therapie mit Glykoprotein-II-b/III-a-

Antagonisten (Thrombozytenrezeptorenblockern) zurückzuführen. Dies erklärt, warum unsere eigenen Daten im Gegensatz zu Studien Mitte der 90er Jahre keine geschlechtsbedingt erhöhte Anzahl an Reinfarkten bei Frauen nach Akutintervention mehr dokumentieren konnten (55). Operative Revaskularisation Die Krankenhaussterblichkeit nach Bypass-Operation ist bei Frauen weiterhin doppelt so hoch wie bei Männern. Hauptverantwortlich sind das höhere Lebensalter der Frau zum Zeitpunkt der Operation und die höhere Inzidenz an Risikofaktoren, insbesondere Diabetes mellitus, sowie mehr Begleiterkrankungen. Eine nicht ganz unwichtige Rolle spielt die Tatsache, dass Frauen sehr häufig notfallmäßig operiert werden. Nach erfolgreicher Operation haben Frauen eine exzellente Langzeitprognose (56). Zieht man das höhere Alter und die höhere Anzahl an Begleiterkrankungen in Betracht, so ist die Langzeitprognose der Frauen derjenigen bei den Männern sogar leichtgradig überlegen. Daher sollte Frauen mit Indikation zur BypassOperation diese therapeutische Möglichkeit auch in höherem Alter nicht vorenthalten werden.

Literatur Die Literaturliste finden Sie im Internet unter www.kardioforum.com

Zusammenfassung der wichtigsten geschlechtsspezifischen Aspekte der KHK • Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die führende Todesursache der Frau. • Das Missverständnis, die KHK sei eine Erkrankung des Mannes und nicht der Frau, ist ein starker „Risikofaktor“ für die Frau. • Die Menopause ist allerdings der stärkste geschlechtsspezifische Risikofaktor. • Es besteht ein diagnostisches Dilemma bei Frauen mit einer geringen Vortestwahrscheinlichkeit. • Es existieren keine bzw. inadäquate „Guidelines“ bezüglich der koronaren Risikofaktoren bei Frauen mit KHK. • Es besteht eine Fehleinschätzung der eigenen Beschwerdesymptomatik bei Frauen und eine Verharmlosung bzw. Bagatellisierung des Beschwerdebildes durch behandelnde Ärzte. • In der Hospitalphase nach akutem Infarkt sind Frauen mehr gefährdet, da Frauen älter sind und mehr Begleiterkrankungen haben. • Frauen haben periinfarziell eine erhöhte Letalität aufgrund myokardialer und rhythmogener Komplikationen. • Frauen profitieren von interventionellen Therapieansätzen mehr als von einer systemischen Lysetherapie. • In der chronischen interventionellen Phase existieren keine geschlechtsspezifischen Überlebensunterschiede. • Frauen profitieren von einer aggressiven Lipidsenkung mit Statinen im Sinne einer Sekundärprävention.

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Hormonsubstitution und thromboembolisches Risiko der Frau Dietrich C. Gulba

ie medizinische Entwicklung der letzten 50 Jahre war in der westlichen Welt von substanziellen Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen begleitet. Insbesondere die Möglichkeit der Ergänzung bzw. Substitution von Sexualhormonen hat einerseits eine bis dato unbekannte sexuelle Freiheit möglich gemacht, andererseits hat sie viele Frauen von den Symptomen des Klimakteriums befreit. Diese Vorteile haben zunächst zu einem weitgehend vorbehaltlosen Einsatz dieser Medikamente geführt. Mit dem jahrelangen Gebrauch der Hormonsubstitutionstherapie durch Millionen Frauen wuchs jedoch die Erkenntnis, dass dabei ein erhöhtes thromboembolisches Risiko mit einer konsekutiv erhöhten Sterblichkeit der betroffenen Frauen besteht, wodurch der Nutzen der Hormonsubstitutionstherapie erheblich eingeschränkt wurde. Mit dem vorliegenden Artikel wird der Versuch unternommen, die Ursachen des erhöhten thromboembolischen Risikos bei Hormonsubstitutionstherapie sowie deren Häufigkeit und Gefährlichkeit zu ergründen, um letztlich eine rationale Strategie für ihren Einsatz aufgrund einer kritischen Risiko- und Nutzenabwägung darzulegen.

D

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Dietrich Gulba Krankenhaus Düren gGmbH Medizinische Klinik I Roonstraße 30 52351 Düren Tel.: 0 24 21/30 13 10 Fax: 0 24 21/3 78 27 Innere@Krankenhaus-Dueren.de www.krankenhaus-dueren.de

Blutgerinnung und thromboembolisches Risiko Die Blutgerinnung stellt einen wesentlichen Überlebensmechanismus der höheren Lebewesen dar. Sie gewährleistet, dass der Mensch nach einer Verletzung nicht verblutet. Gleichzeitig schafft das entstehende Blutgerinnsel die erforderliche Matrix, die zur sekundären Wundheilung durch Neubildung von Gewebe führt. Da andererseits jedoch eine überschießende Blutgerinnung zur vollständigen Erstarrung des Blutes in unseren Adern führen würde und somit ebenfalls

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mit dem Leben nicht vereinbar wäre, wird sie von einer Vielzahl von Modulatoren (Stoffen, die die Aktivität der Gerinnung kontrollieren), Inhibitoren (Gerinnungshemmstoffen) und Fibrinolysefaktoren (Stoffen, die Blutgerinnsel wieder auflösen können) kontrolliert. Bei gesunden Menschen überwiegen die letztgenannten Stoffe, sodass immer ein leichtes Ungleichgewicht zugunsten der Antigerinnung besteht. Nur lokal, an der Stelle der Verletzung, kommt es im Normalfall zur Verschiebung der Balance in Richtung auf die Blutgerinnung. Die multiplen Kontrollmechanismen, die in einem sorgfältig abgestimmten, intensiv ineinander verwobenen Netzwerk miteinander kommunizieren, sorgen dafür, dass das Blut in allen übrigen Regionen der Blutbahn fließfähig bleibt, und gewährleisten somit trotz der bestehenden Verletzung den Fortbestand des Lebens. Die Pathophysiologie der Thrombose beinhaltet eine krankhafte Verschiebung der physiologischen Balance des Blutgerinnungssystems zugunsten einer erhöhten Gerinnbarkeit. Diese Erkenntnis geht zurück auf den berühmten Pathologen Rudolf Virchow (1821–1902): Er beschrieb drei unterschiedliche Komponenten, die zu einer Gerinnung des Blutes führen können, und legte diese in seiner berühmten Trias nieder. Diese Trias umfasst neben einer Gefäßverletzung die Verringerung der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes (Stase) und die krankhafte Zusammensetzung des Blutes. Nur wenn diese drei Komponenten gleichzeitig zusammentreffen, kommt es zur Ausbildung von Blutgerinnseln (Thrombosen) (Abb.1). Sind bestimmte Gerinnungsfaktoren vermindert, so kommt es zur Bluterkrankheit. Am wichtigsten ist hier der Mangel an Faktor VIII – die so genannte Hämophilie A –, die dadurch besondere


Berühmtheit erlangte, dass von ihr beispielsweise einige europäische Königshäuser betroffen waren, aber auch der Mangel an Von-Willebrand-Faktor oder der Mangel an dem Glykoproteinrezeptor GP Ia auf der Thrombozytenoberfläche (so genannte Glanzmann’sche Thrombasthenie). Fehlen andererseits Gerinnungsmodulatoren oder Gerinnungsinhibitoren oder sind bestimmte Gerinnungsfaktoren fehlerhaft angelegt oder im Überschuss vorhanden, kann es zur Übergerinnbarkeit des Blutes (Thrombophilie) kommen. Die wichtigsten thrombophilen Störungen des Blutgerinnungssystems mit ihren Häufigkeiten und der damit verbundenen Erhöhung des Thromboserisikos sind in Tabelle 1 dargestellt. Daneben gibt es noch eine Vielzahl sehr seltener Gerinnungsstörungen, die hier nicht näher aufgeführt werden sollen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei den genannten Zahlen für die ererbten Störungen wie z. B. APCResistenz, Protein C-, Protein S- und ATIII-Mangel sowie bei der Prothrombinmutation G20210A jeweils um die heterozygote Form handelt. Das thrombembolische Risiko der homozygoten Merkmalsträger – die wir naturgemäß nur sehr selten sehen – liegt demgegenüber um ein Vielfaches höher. Ebenso sind Patienten, bei denen mehrere Gerinnungsstörungen nebeneinander vorliegen, von einem potenzierten Thromboembolierisiko bedroht. Bemerkenswert ist, dass die Ursache der thrombophilen Gerinnungsstörung nur bei zwei von fünf betroffenen Patienten tatsächlich dingfest gemacht werden kann, sodass auch bei subtiler Suche bei der Majorität der Thrombophilien die Ursache weiterhin nicht benennbar bleibt.

Thromboserisiko und Schwangerschaft Bereits Virchow hatte erkannt, dass schwangere Frauen überzufällig häufig an Thrombosen leiden. Insbesondere im dritten Trimenon der Schwangerschaft kommt es in Vorbereitung auf den hohen Blutverlust bei der Plazentaablösung zu

Pathophysiologie – Virchowsche Trias verlangsamter Blutfluss (Stase) Schwangerschaft Übergewicht Operationen Immobilisierung Krebserkrankung Gefäßverletzung Inflammation Chirurgie Krebserkrankung Hormone Wochenbett Blutzusammensetzung Prokoagulante Aktivität Plättchen Hämatologische Erkrankungen Schwangerschaft Exogene Hormone Gene

Abb. 1

einer Erhöhung der Blutgerinnungsfaktoren II (Prothrombin), V und VII auf das 1,5bis 3-Fache und der Faktoren IX, X und XII auf das 1,2- bis 2-Fache. Gleichzeitig wird die Konzentration des Inhibitors der Fibrinolyse, PAI, auf bis zu 200 % erhöht, während der wichtigste Gerinnungsmodulator, Protein S, auf weniger als die Hälfte seiner normalen Konzentration abfällt. Die erhöhte Blutgerinnbarkeit wird dadurch deutlich, dass die so genannte APC-Ratio, das Verhältnis der Gerinnbarkeit eines Standardplasmas zum Patientenplasma (Normalwert > 2), sich ins Pathologische (d. h. < 2) verändert und damit dem Zustand der APC-Resistenz entspricht, die wir heute als die häufigste ererbte thrombophile Blutgerinnungsstörung ansehen. Gleichzeitig steigen bei vielen Schwangeren die Antiphospholipidantikörper (transient) an und erhöhen das Thromboserisiko damit substanziell. Bei Patientinnen mit EPH-Gestose (Schwangerschafts-Bluthochdruck) tritt zusätzlich eine weitere thrombophile Komponente, die Gefäßläsion, hinzu, was

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Tabelle 1: Prävalenz und Bedeutung thrombophiler Gerinnungsstörungen

Prävalenz

Rel. Risiko ohne Kontrazeption

Rel. Risiko mit Kontrazeption

Antiphospholipid-Antikörper

2–9 %

10–12-fach

?

APC-Resistenz

3–7 %

8-fach

35-fach

Prot.-C-Mangel

0,1–0,5 %

9-fach

15-fach

Prot.-S-Mangel

0,1–0,5 %

6–8-fach

8-fach

AT-III-Mangel

0,02–0,2 %

4-fach

32-fach

gültig für Präparate der 2.Generation

insbesondere auch das Risiko arterieller Thrombosen ansteigen lässt. Eine ähnliche Potenzierung des Thromboserisikos stellt – über seine Gefäßeffekte – das Rauchen dar, ein weiterer Grund, warum schwangere Frauen zur Einstellung des Nikotinkonsums angehalten werden sollen. Während das allgemeine Thromboserisiko mit ca. 0,1 ‰/Jahr angegeben wird, steigt das Thromboserisiko junger schwangerer Frauen infolge der präpartalen Umstellung der Blutgerinnung vor der Entbindung auf das 5-Fache an. In den 14 Tagen nach einer Entbindung per via naturalis ist das Thromboserisiko um das 25-Fache, bei Sectio sogar bis auf das 50-Fache des allgemeinen Thromboserisikos gesunder junger Frauen erhöht. Fast jeder 10. Deutsche und damit auch jede 10. deutsche Frau ist Merkmalsträger einer thrombophilen Gerinnungsstörung. Die damit erhöhte Blutgerinnungsneigung potenziert das ohnehin wesentlich erhöhte Thromboserisiko der Schwangeren. In der Tat erleidet jede 200. Schwangere mit einer bestehenden Thrombophilie, sofern keine präventiven Maßnahmen ergriffen werden, während

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ihrer Schwangerschaft eine Thrombose und muss wegen dieser spezifisch behandelt werden; eine von 1000 thrombophilen Schwangeren verstirbt an den Folgen einer Lungenembolie. Diese Zahlen unterstreichen die Wichtigkeit der Identifikation eines bestehenden Risikos und die daraus erfolgende Möglichkeit der präventiven Behandlung.

Hormonelle Kontrazeption und Thrombosegefährdung Die hormonelle Kontrazeption simuliert bis zu einem gewissen Grad die hormonellen Veränderungen in der Schwangerschaft; insbesondere wird die Konzentration der Östrogene künstlich erhöht. Hält man sich diesen Umstand vor Augen, wird grundsätzlich auch die Erhöhung des thrombophilen Risikos bei Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, verständlich. Mit der Pille der ersten Generation wurden der Frau täglich 75–100 µg eines synthetischen Östrogens zugeführt. Dies hat das Risiko der Frauen um das ca. 11Fache erhöht (Tab. 2). Mit der Pille der 2. Generation konnten durch den Zusatz synthetischer Gestagene (Levonorgestrel


oder Norethisteron) die synthetischen Östrogene auf < 50 µg vermindert werden, wodurch die Thromboseinzidenz wesentlich gesenkt wurde. Leider haben sich die Hoffnungen auf eine weitere Reduktion der Thromboseinzidenzen durch die weitere Verminderung des Östrogenanteils in der Pille der 3. Generation nicht erfüllt, was zu den Einschränkungen in der Verordenbarkeit der Pille der 3. Generation ganz wesentlich beigetragen hat.

Altersbedingte Zunahme des Thromboserisikos Wie oben bereits erwähnt, beträgt das Thromboserisiko junger, gesunder Frauen weniger als 1 ‰. Leider steigt dieses Risiko mit zunehmendem Lebensalter kontinuierlich an. Insbesondere das Klimakterium bringt dann für die Frau – neben allen anderen Veränderungen – einen überproportionalen Anstieg der Thromboseinzidenz mit sich. Legt man das Thromboserisiko einer gesunden jungen Frau als Basisrisiko zugrunde, so ist das Risiko einer 45-jährigen Frau bereits auf das 3-Fache angestiegen. In der Postmenopause steigt das Thromboserisiko der Frauen dann sogar auf das 10-Fache des Risikos junger Frauen an. Auch die gesteigerte altersbedingte Thrombophilie muss daher bei der Entscheidung für eine Hormontherapie zur Linderung klimakterischer Beschwerden berücksichtigt werden.

Schützt die Hormonsubstitution im Klimakterium vor Herzinfarkten? Epidemiologische Untersuchungen waren lange Zeit so interpretiert worden, dass Frauen im Klimakterium durch Hormonsubstitution vor Herzinfarkten geschützt werden könnten. Die Risikoreduktion wurde mit ca. 50 % angegeben. Leider hat dieser vorteilhafte Effekt der Hormonsubstitution in großen randomisierten Studien an Frauen im Klimakterium mit und ohne Hormonsubstitution nicht belegt werden können. Er kann daher bei der Entscheidung für eine Hormonsub-

stitution bei solchen Frauen keine Rolle mehr spielen.

Ist ein routinemäßiges Thrombophilie-Screening sinnvoll? Natürlich legen die genannten Fakten ein routinemäßiges Thrombophilie-Screening vor einer Hormontherapie (oder sogar Schwangerschaft) nahe. Ein Thrombophilie-Screening ist dabei sicher all denjenigen gesunden Frauen zu empfehlen, in deren Familie gehäuft Thrombosen aufgetreten sind, bei denen also die Familienanamnese eine heriditäre Thrombophilie möglich erscheinen lässt. Denkt man jedoch daran, dass auch bei einer spezifischen Anamnese und metikulöser Suche nur bestenfalls bei zwei von fünf Patienten eine identifizierbare Gerinnungsstörung gefunden wird, und bedenkt man darüber hinaus die Kosten, die dem Gesundheitswesen durch ein solches routinemäßiges ThrombophilieScreening aufgebürdet werden, wird die Limitierung dieses Ansatzes rasch klar: Ein Thrombophilie-Screening, das nur die wichtigsten Thrombophilien umfasst, kostet bereits > 1000 € pro Person. Mit anderen Worten: Um eine einzige Thrombose zu verhindern, müssten ca. 2 000 000 € aufgewendet werden; 10 000 000 € wären erforderlich, um einen einzigen thromboemboliebedingten Todesfall einer Frau mit Hormonsubstitution zu verhindern.

Tabelle 2:Thrombophiles Potential oraler Kontrazeptiva

Kontrazeptivum

Östrogengehalt

Gestagenkomponente

Thromboseinzidenz

1. Generation

75–100 µg

keine

11-fach

2. Generation

< 50 µg

Levonorgestrel Norethisteron

4-fach

3. Generation

< 30 µg

Desogestrel Gestoden

8-fach

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Pragmatischer Lösungsansatz Das Problem ist häufig; ein sicherer Schutz der betroffenen Frauen ist jedoch auch mit hohem Kostenaufwand nicht zu erreichen. Dieser Umstand setzt einen pragmatischen Ansatz voraus, bei dem zunächst einmal das klinische Risiko evaluiert und minimiert wird. Hier ist vor allem dem Übergewicht, der Bewegungsarmut und dem Rauchen entgegenzuwirken. Allein indem diese beeinflussbaren Faktoren, die andererseits das unbeeinflussbare genetische Risiko potenzieren können, günstig beeinflusst werden, lässt sich das thrombembolische Risiko der Frauen substanziell senken. Durch einen Verzicht auf hormonelle Kontrazeption und Ausweichen auf andere Kontrazeptionsverfahren kann das Risiko der Frau, an thromboembolischen Krankheiten zu erkranken oder zu versterben, darüber hinaus weiter gesenkt werden. Andererseits kann bei Frauen, die auf die hormonelle Kontrazeption nicht verzichten wollen, allein

durch die Wahl der Zusammensetzung des Präparates eine substanzielle Risikominimierung erfolgen (Tab. 2), sodass, solange es in der Anamnese keine Hinweise auf eine erhöhte Thrombosegefährdung gibt, der Einsatz hormoneller Kontrazeptiva grundsätzlich gerechtfertigt erscheint. Bei bekannten Trägerinnen eines erworbenen oder ererbten thromboembolischen Risikos erhöht sich dieses Risiko durch die Einnahme oraler Kontrazeptiva oder anderer Hormonpräparate derart (Tab. 1), dass auf eine orale Kontrazeption grundsätzlich verzichtet werden sollte. Ähnlich pragmatisch kann bei der Hormontherapie in der Postmenopause eine Risiko-/Nutzenabwägung erfolgen. Sie sollte einerseits auf der Intensität der Beschwerden der Frau basieren, andererseits das ca. 3-fach erhöhte, aber insgesamt immer noch sehr niedrigen Gesamtrisiko (hormonsubstitutionsassoziierte zusätzliche Thromboemboliesterblichkeit: ca. 1:100 000) berücksichtigen. Die günstige Beeinflussung der allgemeinen Faktoren,

St. Jude Medical stellt neuen ICD vor

Zum ersten Mal möglich: Kontinuierliches ST-Strecken-Monitoring Der aktuelle implantierbare Kardioverter-Defibrillator AnalyST Accel™ ICD bietet als erstes Gerät einen Diagnose-Algorithmus zum Monitoring der ST-Strecke. Dieser Algorithmus dokumentiert auffällige Verschiebungen der ST-Strecke, liefert dem Arzt kontinuierliche, zusätzliche klinische Informationen und bietet so optimale Daten zur Festlegung der Behandlung. Matthias Leschke isikominimierung und Verbesserung der Therapieergebnisse für Patienten und Ärzte – das ist das Firmencredo von St. Jude Medical. Die kontinuierliche Messung der ST-Strecke kann z. B bei Patienten mit kardiovaskulären Ischämien und akutem Koronarsyndrom (ACS) konkrete Vorteile bedeuten. Bei Patienten mit ACS ist der Blutfluss und damit der Sauerstofftransport im Herzen eingeschränkt. Die meisten ACS gehen auf einen ST-Hebungsinfarkt (STEMI) zurück; doch auch ein Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) oder eine instabile Angina (UA) kommen als Ursache in Frage. 50 % aller Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen versterben am ACS in Form von STEMI und NSTEMI. Gut 30 % der ACS-Patienten müssen nach ihrer Klinikentlassung innerhalb eines halben Jahres erneut stationär behandelt werden. Bei 15 % der Patienten mit UA/STEMI kommt es innerhalb eines Monats zu einem erneuten Myokardinfarkt. Fast 30 % der Patienten mit UA erleiden innerhalb eines Vierteljahres einen Infarkt. Aus diesem Ge-

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fährdungspotential resultiert der Wunsch nach einem kontinuierlichen Monitoring der ST-Strecke mit dem Ziel, STStreckenverschiebungen zu detektieren. St. Jude Medical legt nun mit dem AnalyST Accel™ ICD einen Kardioverter-Defibrillator vor, der progressive ST-Streckenänderungen intrakardial detektiert. Das Gerät schlägt im Grunde zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits passt es die Stimulationsamplitude den sich ändernden Patientenanforderungen automatisch an (garantiert somit also hohe Patientensicherheit) und erfasst diagnostisch relevante Informationen für den Arzt. Übrigens ist auch eine Anbindung an die telemedizinische Plattform Merlin.net (Patient Care Network) mit täglicher Überwachung aller Parameter möglich.

Langzeit-EKG versus ST-Streckenmonitoring Das Monitoring der ST-Strecke über das intrakardiale Elektrogramm (IEGM) eliminiert systembedingte Einschrän-


welche das Entstehen von Thromboembolien begünstigen, wie Bewegungsmangel, Adipositas und Nikotinabusus, ist selbstredend. Bei Merkmalsträgerinnen eines erhöhten erworbenen oder ererbten thromboembolischen Risikos sollte auch bei starken klimakterischen Beschwerden auf die Hormonsubstitution ganz verzichtet werden. Unter diesen Prämissen lässt sich die Frage des Thrombophilie-Screenings ebenfalls relativ pragmatisch lösen. Von den wichtigsten thrombophilen Gerinnungsstörungen, die in Tabelle 1 aufgeführt sind, ist der AT III-Mangel ausgesprochen selten und führt im heterozygoten Fall zu einer nur mäßigen Erhöhung des thromboembolischen Risikos. Unter pragmatischen Gesichtspunkten könnte daher ohne Hormonsubstitution ggf. ohne wesentliche Einschränkung in der prädiktiven Präzision auf die Bestimmung dieses Faktors verzichtet werden. Da das thromboembolische Risiko des AT III-Mangels durch die orale Kontrazeption ganz

erheblich gesteigert wird, sollte dieser Faktor zumindest bei Frauen dennoch immer zu den Komponenten des Thrombophilie-Screenings dazugehören. Das Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom/ Vorhandensein des LupusAntikoagulans macht sich bereits in der Routinegerinnung durch eine Verlängerung der aPTT über den Normbereich hinaus (scheinbare Gerinnungshemmung) bemerkbar, während die APC-Resistenz auch andere thrombophile Gerinnungsstörungen, insbesondere den Protein C-Mangel und den Protein S-Mangel, mit erfasst. Ein pragmatisches Thrombophilie-Screening bei Schwangeren, bei besorgten Patientinnen vor oraler Kontrazeption und besorgten Patientinnen vor Hormonsubstitutionstherapie könnte sich daher auf den Gerinnungs-Routinewert aPTT, den APCResistenz-Test und die Bestimmung der AT III-Aktivität, ggf. ergänzt durch die Bestimmung der Prothrombinmutation (G20210A) in der PCR beschränken und damit den Ressourceneinsatz auf < 100 bis 150 € begrenzen.

kungen, wie sie Langzeit-EKGs zu eigen sind. So braucht der Patient selbst nichts zu unternehmen, um die Integrität der Hautelektroden beim Langzeit-EKG zu wahren und um sicherzustellen, dass die Verkabelung noch intakt ist. Das Langzeitmonitoring der ST-Strecke mittels eines IEGMs in einem implantierten ICD ermöglicht ein ununterbrochenes kontinuierliches Monitoring und vor allem eine Trendanalyse des ST-Streckenstatus. Ein LangzeitEKG läuft in der Regel nicht länger als 48 Stunden und ist außerdem bei einer Vielzahl körperlicher Aktivitäten, wie etwa Schwimmen, nicht möglich. Ischämische Episoden besitzen in der Regel jedoch einen sehr flüchtigen Charakter, die dem Langzeit-EKG entgehen, nicht aber dem AnalyST Accel™ ICD. So erhält der Kliniker höchst detaillierte Informationen.

lenwertes oder der programmierten Dauer einer kontinuierlichen Episode informieren. Über die Funktion „Belastung & Aktivität” können Details zum Verlauf der Krankheit und zur körperlichen Aktivität des Patienten abgerufen werden. Zur Sicherheit des Patienten dient ferner der Vibrationsalarm, der dem ICD-Träger beispielsweise eine Batterieerschöpfung des Geräts anzeigt, aber auch das frühzeitige Erkennen von Vorhofflimmern ermöglicht.

Reiches Angebot an Daten Dem Arzt steht eine Reihe von interessanten ST-Monitoring-Funktionen zur Verfügung, so die • ST-Histogrammdaten, eine grafische Dasrstellung von ST-Streckenabweichungen bei verschiedenen Herzfrequenzbereichen, um die ST-Streckenverschiebung zu bestimmen; • die ST-Trendauswertung, um Abweichungen im ST-Streckenverlauf über einen bestimmten Zeitraum hinweg zu erkennen; • das ST-Episodenprotokoll, das zusammen mit dem zugehörigen EKG Informationen über stärkere ST-Streckenverschiebungen anzeigt. Neben zahlreichen anderen Features sind noch die AT/AF-Alarme hervorzuheben, die Patient und Klinik über eine Überschreitung des programmierten AT/AF-Schwel-

Der AnalyST Accel™ ICD liefert kontinuierliche Informationen zur STStrecke und erlaubt somit die Korrelierung von VT/VF-Episoden und anderen klinischen Ereignissen mit ST-Strecken-Änderungen für eine bessere Entscheidungsfindung. Zu den Funktionsmerkmalen des Geräts gehören das komplette Reizschwellenmanagement mit automatischer, kontinuierlicher Überprüfung der effektiven Stimulation, Anpassung der Stimulation und Speicherung des Reizschwellenverlaufs. Der Arzt kann damit den Verlauf der Therapie beobachten und bei Änderungen an den Patienten anpassen.

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Die EKG-Kolumne von Dieter Gonska

in jetzt 44-jähriger Mann klagt seit ca. 20 Jahren über belastungsunabhängig auftretende Tachykardien, die Pulsfrequenz variiere zwischen 140 und 190/Min. In den letzten vier Wochen hätten die Attacken deutlich zugenommen – sie seien wesentlich länger, z. T. bis zu 30 Min. Dauer, und seien nur mit bestimmten Manövern terminierbar. An Manövern wird der Valsalva-Pressversuch sowie der Würgereiz beschrieben. Die klinische Untersuchung ergibt keine Auffälligkeit. RuheEKG, Echokardiogramm und Röntgenbild des Thorax sind unauffällig. Die Laborwerte zei- Ruhe-EKG: Sinusrhythmus, Steiltyp, keine Erregungsausbreitungs- und -rückbildungsstörungen gen ebenfalls keine AuffälligDie Katheterablation mit Radiofrequenzenergie termikeiten, das TSH ist im Normbereich. Ruhe-EKG: Regelmäßiger Sinusrhythmus, Frequenz niert die Tachykardie. Eine retrograde Leitung über die ak66/Min., Steiltyp, keine Erregungsausbreitungs- oder -rück- zessorische Leitbahn ist nicht mehr nachweisbar, eine Tabildungsstörungen (PQ 0,16, QRS 0,06, QT 0,36) bei Fre- chykardie nicht mehr induzierbar. Die Nachprüfung ergibt keine belastungsabhängige Tachykardie. Eine Rhythmusquenz 66/Min. keine verlängerte QT-Dauer. Belastungs-EKG: Fahrradergometrische Belastung: Be- störung ist nicht mehr nachweisbar. Im vorliegenden Fall handelt es sich um einen Patienten ginn mit 50 Watt, nach 1 Min./50 Watt Auftreten einer Tamit einem „verborgenen WPW“ (Concealed-WPW). chykardie mit schmalen QRS-Komplexen, KammerfreDie Anamnese des schlagartigen Auftretens der Tachyquenz 190/Min. Die RP-Dauer beträgt 220 msec, die PR-Dauer kardie und des schlagartigen Endes respektive des Ein110 msec. Die P-Wellen sind positiv in den Ableitungen II, flusses durch Valsalvamanöver für die Beendigung der TaIII, aVF, V2, V3, V4. Ein elektrischer Alternans ist nach- chykardie sind ein typisches klinisches Zeichen einer atrioventrikulären Re-entry-Tachykardie. Atrioventrikuläre Taweisbar. Terminierung der Tachykardie nach 12 mg Adenosin i. v. chykardien können auf dem Boden einer AV-Knoten-ReDanach AV-Block II.° für 2 Min., danach regelmäßiger Si- entry-Tachykardie (AVNRT) oder einer atrioventrikulären Reentry-Tachykardie (AVRT) vorliegen. AVRT-Tachykardien nusrhythmus. Die invasive elektrophysiologische Untersuchung belegt werden geläufigerweise als WPW-Tachykardien bezeichden Verdacht einer atrio-ventrikulären Tachykardie auf dem net. Im vorliegenden Fall ist bemerkenswert, dass im RuheBoden einer akzessorischen Leitungsbahn. Die akzessori- EKG kein Hinweis auf eine akzessorische Leitungsbahn besche Leitungsbahn ist nach der traditionellen Nomenklatur steht. Die PQ-Dauer ist normal, eine Delta-Welle ist nicht im posteroseptalen Segment lokalisiert. Kürzeste retrogra- erkennbar. Das einzige Hinweiszeichen auf eine atriovende Verbindung vom Ventrikel zum Vorhof im posterosepta- trikuläre Tachykardie liefert die Tachykardie selbst. Glücklicherweise war die Tachykardie im Rahmen der Ergometrie len Segment (CS 9/10).

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induzierbar. Die Frequenz der Tachykardie beträgt 190/Min. Die P-Wellen sind retrograd nach dem Kammerkomplex nachweisbar. Hierbei ist die RP-Dauer länger als die PRDauer. Die P-Wellen sind positiv in den Ableitungen II, III, aVF, V2 und V3, darüber hinaus besteht ein elektrischer Alternans. Hieraus lässt sich als Ursprungsort eine atrioventrikuläre Tachykardie diagnostizieren. Neben einer akzessorischen Leitungsbahn wäre auch eine junktionale Tachykardie mit einer 1:1 antegraden Leitung auf die Kammer denkbar. Das klinische Zeichen der Terminierung der Tachykardie durch Valsalvamanöver und durch Adenosin sprechen jedoch gegen die junktionale Tachykardie, ebenso die Unfähigkeit der Tachykardie, zu akzelerieren. Als Mechanismus bleibt daher nur die AVNRT oder AVRT übrig. Bei einer AVNRT läge eine fast Slow-Tachykardie vor. Die antegrade Leitung erfolgt über die schnelle Leitungsbahn, die retrograde über die langsame. In diesem Falle wäre das P in den genannten Ableitungen negativ. Die positive PWelle spricht dagegen für eine Umgehung des AV-Knotens, und diese kann aufgrund der Polarität der P-Welle nur im posteroseptalen Bereich liegen. Das vorliegende Beispiel belegt die Bedeutung des Ruhe-EKGs für die rhythmologische Diagnostik. Obwohl im Oberflächen-EKG kein Hinweis für eine Präexzitation besteht, handelt es sich um eine akzessorische Leitungsbahn. Die Tachykardie erfolgt im Rahmen des „verborgenen WPW“. Die typische Polarität der P-Welle während der Tachykardie legt die Lokalisation der akzessorischen Bahn nahe. Nur bei diesen Bahnen ist die Polarität positiv in den Ableitungen II, III, aVF, V2 u. V3. Die Ablation konnte schnell und komplikationslos mit Radiofrequenzenergie erfolgen. Die typische Lokalisationsdiagnostik der akzessorischen Leitungsbahn erfolgt nach der Polarität der Delta-Welle. Hier sei auf die einschlägige Literatur (Arruda MS et al.,

Intrakardiales EKG: Früheste retrograde Erregung im Coronarsinus (CS) beri CS 9/10. Die Ablation an dieser Stelle beseitigt die akzessorische Bahn.

Supraventrikuläre Tachykardie; zu beachten: elektrischer Alternans, retrograde P-Welle

Journal Cardiovasc Electrophysiol 9/2–12, 1998) hingewiesen. Die Arbeit von Arruda ist empfehlenswert, da sie mit einfachen Mitteln aufgrund der Polarität der Delta-Welle die Lokalisation der akzessorischen Leitungsbahn erlaubt. Erwähnt seien hierbei die Ableitungen, die hierfür von Bedeutung sind: I, II, V1, aVF. Für die häufigen linkslateralen Bahnen wäre so eine fraglich positive oder negative DeltaWelle in V1, eine positive Deflexion in V1 sowie eine Positivität in aVF zu fordern, um eine linkslaterale, links anterolaterale Position nachzuweisen. Bei Negativität in aVF wäre diese dann in links posterior oder links posterolateral. Diese EKG-Schemata erlauben es, die invasive elektrophysiologische Untersuchung kurz, zeitsparend und wenig patientenbelastend durchzuführen.

Intrakardiales EKG: Stimulation im rechten Ventrikel nach Ablation – keine retrograde Leitung

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Echokardiographischer Nachweis eines Transitthrombus bei ventiloffenem Foramen ovale

Detlef Hering, Lothar Faber, Dieter Horstkotte

ei bis zu 25 % der gesunden Normalbevölkerung findet sich ein ventiloffenes Foramen ovale (PFO), das in den letzten Jahren als mögliche Ursache des kryptogenen Hirninsults infolge einer paradoxen Embolie Bedeutung erlangt hat. Insbesondere bei älteren Patienten mit kardialen oder vaskulären Begleiterkrankungen ist es gelegentlich schwierig, einen kausalen Zusammenhang zwischen PFO und stattgehabtem Hirninsult herzustellen. Beweisend hierfür ist die diagnostische Trias aus venöser Thrombose, passagerer Erhöhung des rechtsatria-

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len im Vergleich zum linksatrialen Druckniveau und Nachweis eines Transitthrombus. Das gleichzeitige Vorliegen aller drei Befunde – wie in der nachfolgenden Kasuistik – stellt in der klinischen Praxis jedoch eine Rarität dar. Der 53-jährige Patient wurde aus einem benachbarten Krankenhaus übernommen, nachdem er sich dort wegen Luftnot und einer zunehmenden Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vorgestellt hatte. Eine exakte Anamneseerhebung war aufgrund einer geistigen Retardierung erschwert. In der trans-

Abb. 1

Abb. 2


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Abb. 4

Abb. 3

thorakalen Echokardiographie hatte sich dort eine flottierende Struktur im Bereich der Mitralklappe gezeigt, sodass die Verdachtsdiagnose einer infektiösen Endokarditis gestellt wurde. Fieber oder erhöhte Entzündungswerte im Labor lagen allerdings nicht vor. In einer nach Übernahme auf unsere Intensivstation durchgeführten bettseitigen Echokardiographie bestätigte sich das Vorliegen einer rundlichen, in Höhe der Mitralklappe diastolisch in den linken Ventrikel prolabierenden, mutmaßlich einem Thrombus entsprechenden Formation (Abb. 1, Pfeile). Mittels transösophagealer Echokardiographie konnten wir einen großen, länglichen Vorhofthrombus nachweisen, der im PFO eingeklemmt war und mit seinem linksatrialen Anteil weit in den linken Vorhof hineinragte (Abb. 2 und 3, Pfeile). In einer Lungenszintigraphie zeigten sich disseminierte Perfusionsdefekte in beiden Lungenflügeln als Ausdruck multipler Lungenembolien (Abb. 4). Aufgrund der hierdurch bedingten akuten Rechtsherzbelastung hatten bereits zum Zeitpunkt der Echokardiographie vergrößerte rechtsseitige Herzhöhlen vorgelegen (Abb. 1). Obwohl der Patient keine neurologischen Herdsymptome aufwies, stellte sich in einer Computertomographie des Schädels ein 1 cm messendes ischämisches Infarktareal im rechten Temporallappen dar. Mittels Duplexuntersuchung der Beinvenen konnten Thrombosen der rechtsseitigen posterioren Unterschenkelvene und der Vena poplitea nachgewiesen werden.

Aufgrund der Befunde war mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass aus der Unterschenkelvenenthrombose embolisiertes Thrombenmaterial zunächst zu rezidivierenden Lungenembolien geführt hatte. Die hierdurch hervorgerufene rechtsventrikuläre und -atriale Druckerhöhung begünstigte im weiteren Verlauf das Auftreten einer paradoxen Hirnembolie bei echokardiographisch nachweisbarem großem Transitthrombus. Ursachen für die Entstehung der Beinvenenthrombose ließen sich nicht finden. Das Vorliegen thrombophiler Mutationen oder einer okkulten Tumorerkrankung konnte ausgeschlossen werden. Der weitere klinische Verlauf war nach Einleitung einer oralen Antikoagulation mit Marcumar (Ziel-INR 2,5) stabil.

Korrespondenzadresse: Dr. Detlef Hering dhering@hdz-nrw.de PD Dr. med. Lothar Faber lfaber@hdz-nrw.de Univ.-Prof. Dr. med. Dieter Horstkotte akohlstaedt@hdz-nrw.de

Kardiologische Klinik Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen Universitätsklinik der Ruhr-Universität Bochum Georgstraße 11 32545 Bad Oeynhausen

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Prasugrel: das Thienopyridin der neuesten Generation mit verbesserter Wirksamkeit gegenüber Clopidogrel

Matthias Leschke

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Matthias Leschke Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie Klinikum Esslingen Hirschlandstraße 97 73730 Esslingen Tel.: 07 11/31 03-24 01 Fax: 07 11/31 03-24 05 m.leschke@klinikum-esslingen.de

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ie Klasse der Thienopyridine – Inhibitoren der Thrombozytenaktivierung und -aggregation – entfaltet ihre Wirkung über die Blockade der P2Y12-AdenosinDiphosphat-Rezeptoren auf der Oberfläche der Thrombozyten. Nach Ticlopidin, das als erste oral zu verabreichende Alternative zu ASS zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse eingesetzt werden konnte, hatte Clopidogrel als zweite Generation der Thienopyridine Ticlopidin im klinischen Einsatz heute weitestgehend abgelöst. Prasugrel unterscheidet sich in der Molekularstruktur deutlich von Clopidogrel. Dieser Unterschied hat Einfluss auf die Pharmakokinetik.

Die Hydrolyse durch intestinale und Plasma-Esterasen bildet den ersten Schritt. Der Hauptpfad der Metabolisierung erfolgt anschließend über die Aufspaltung eines Rings des Thiolaktons zur Bildung des aktiven Metaboliten. Daran ist zwar das CYP-450-System beteiligt, in erster Linie erscheint jedoch CYP 3 A für die rasche Bioaktivierung verantwortlich. Die maximalen Plasmakonzentrationen des aktiven Metaboliten wurde in Studien nach 30 Minuten erreicht. Dabei sind die Plasmakonzentrationen des aktiven Prasugrel-Metaboliten um den Faktor 10 höher als von dem aktiven Metaboliten von Clopidogrel (2, 3).

Pharmakodynamik und Pharmakokinetik

Positive Vergleichsstudie TRITON-TIMI 38

Die Pharmakodynamik von Clopidogrel und Prasugrel ist vergleichbar: Beide Substanzen hemmen irreversibel den P2Y12Rezeptor für ADP und haben keinen Einfluss auf den Arachidonsäurestoffwechsel wie ASS. Der Unterschied zwischen Clopidogrel und Prasugrel zeigt sich insbesondere in der Pharmakokinetik. Beide Substanzen sind Prodrugs, die über Zytochrome in der Leber in ihre aktiven Formen metabolisiert werden. An der jeweiligen Bioaktivierung scheinen allerdings verschiedene Zytochrome beteiligt zu sein. Bei Clopidogrel werden rund 85 % durch verschiedene Esterasen während des ersten Schritts in inaktive Metaboliten abgebaut. Die Bioaktivierung folgt darauf als zweistufiger Zytochrom-abhängiger Prozess. Die Umsetzungsrate in den aktiven Metaboliten beträgt insgesamt bei Clopidogrel nur rund 10–15 % (2, 3). Die Metabolisierung von Prasugrel verläuft in anderen Schritten, die im Vergleich zu Clopidogrel zu einem deutlich höheren Anteil aktiver Metaboliten führt.

Wirkungseintritt, -dauer und -stärke von Prasugrel und die klinischen Konsequenzen wurden in der TRITON-TIMI 38-Studie evaluiert (1, 5, 6). Diese klinische, auf Überlegenheit ausgelegte Vergleichsstudie untersuchte die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Prasugrel im Vergleich mit Clopidogrel hinsichtlich der Reduzierung atherothrombotischer Ereignisse bei 13 608 Patienten mit akutem Koronarsyndrom, die sich einer PCI unterziehen mussten. Die Studie war zudem Grundlage für die Zulassung von EFIENT (Prasugrel), die Ende Februar 2009 von der Europäischen Kommission erteilt wurde. Das neue Medikament soll atherothrombotischen Ereignissen bei ACS-Patienten, die sich einer PCI unterziehen müssen, vorbeugen. Mit der Studie konnte belegt werden, dass Prasugrel (in Kombination mit ASS) Clopidogrel in Kombination mit ASS überlegen war hinsichtlich der Reduktion des relativen Risikos für den kombinierten Endpunkt von kardiovaskulärem Tod, nicht-tödlichem Myokardin-


farkt oder nicht-tödlichem Schlaganfall bei ACS-PCI-Patienten. In der Prasugrel-Gruppe zeigte sich eine Reduktion des relativen Risikos um 19 % (Ereignisrate: 9,4 %) gegenüber der Clopidogrel-Gruppe mit einer Ereignisrate von 11,5 %. Zudem war unter Prasugrel ein reduziertes Risiko für Stentthrombosen um 50 % im Vergleich zu Clopidogrel zu verzeichnen. Das Risiko für nicht-bypass-bedingte schwere Blutungen einschließlich tödlicher Blutung war im Vergleich zu Clopidogrel (Ereignisrate: 1,7 %), unter Prasugrel zwar höher (Ereignisrate: 2,2 %). Das erhöhte Risiko für schwere Blutungen unter Prasugrel zeigte sich in drei abgrenzbaren Patientengruppen am deutlichsten: Patienten, die weniger als 60 kg wogen, 75 Jahre oder älter waren oder bereits transitorisch-ischämische Attacken (TIA) oder einen Schlaganfall erlitten hatten. Wägt man insgesamt den Nutzen reduzierter Herzinfarkte und das Risiko für schwere Blutungen sorgfältig gegeneinander ab, zeigt sich, dass pro 1000 mit Prasugrel behandelten Patienten zwar fünf zusätzliche schwere TIMI-Blutungen auftraten, gegenüber 1000 mit Clopidorel behandelten Patienten aber 22 Herzinfarkte verhindert werden konnten (6).

Weitere Vorteile von Prasugrel Der Einsatz von Prasugrel weist aber noch einige andere Vorteile gegenüber Clopidogrel auf. So zeigen aktuelle Studien, dass die Wirksamkeit von Clopidogrel genetisch determiniert ist, demnach besteht eine unterschiedliche ClopidogrelWirksamkeit aufgrund genetischer Unterschiede. Dieses Phänomen wird in der Literatur als Non-Clopidogrel-Responder beschrieben. So existieren bei dem Zytochrom P450 unterschiedliche Allele (4), die teilweise große Unterschiede in ihrer Funktion aufweisen. Offenbar existiert ein defizientes CYP2C19-Allel, bei dem bei einem Einsatz von Clopidogrel wesentlich häufiger kardiovaskuläre Ereignisse erwartet werden müssen als bei Nicht-Trägern dieses Allels. So betrugen die Unterschiede in der kardiovaskulären Ereignisrate 21,5 % versus 13,3 %. Da die genetische Bestimmung dieses Allels sehr aufwendig ist, sich andererseits keine bisher in der klinischen Praxis etablierten Thrombozytenfunktionstests für die Clopidogrel-Wirksamkeit durchgesetzt haben, bedeutet der Einsatz von Prasugrel gegenüber Clopidogrel eine höhere Sicherheit mit einer um mehr als 50 % reduzierten Stentthrombose-Rate bzw. einer signifikant geringeren Ereig-

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nisrate gegenüber genetisch bedingten Clopidorel-Non-Respondern. Darüber hinaus profitieren von der Prasugrel-Behandlung Diabetiker mit einer Verringerung des primären Endpunktes von 17,0 auf 12,2 % sowie Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) besonders deutlich. So konnte in einer kürzlich publizierten Studie von STEMI-Patienten der primäre Endpunkt in der PrasugrelGruppe nach 30 Tagen signifikant um 32 % gegenüber der Clopidogrel-Gruppe reduziert werden. Die Wirksamkeit hielt über 15 Monate an. Die Blutungsrate war bei den STEMI-Patienten nach Einsatz von Prasugrel gegenüber Clopidogrel nicht erhöht (5).

Höhere Sicherheit bei aufwendigen Interventionen und Diabetikern Aus klinisch-kardiologischer Sicht weist der Einsatz von Prasugrel noch weitere Vorteile auf. So bringt der Einsatz von Prasugrel eine höhere Sicherheit mit sich • bei aufwendigen Interventionen im Bereich des linken Hauptstammes, • im Bereich des proximalen RIVA und von komplexen Bifurkationsstenosen, aber auch • bei Patienten mit Typ-II-Diabetes mellitus, die eine höhere Rate an Clopidogrel-Non-Respondern aufweisen. Für diese Subgruppen lässt sich aufgrund dieser Studiendaten und ihrer praktischen Konsequenzen schon jetzt der Einsatz von Prasugrel rechtfertigen.

(1) Antman EM et al. Early and late benefits of prasugrel in patients with acute coronary syndromes undergoing percutaneous coronary intervention: a TRITON-TIMI 38 analysis. J Am Coll Cardiol 2008; 51: 2028–2033 (2) Brandt JT et al. A comparison of prasugrel and clopidogrel loading doses on platelet function: magnitude of platelet inhibition is related to active metabolite formation. Am Heart J 2007 Jan; 153 (1): 66.e9–16 (3) Payne CD et al. Increased active metabolite formation explains the greater platelet inhibition with prasugrel compared to high-dose clopidogrel. J Cardiovasc Pharmacol 2007 Nov; 50(5): 555–562 (4) Mega JL, Close SL, Wiviott SD et al. Cytochrome p-450 polymorphisms and response to clopidogrel. N Engl J Med 2009 Jan 22; 360(4): 354–62 (5) Montalescot G, Wiviott SD, Braunwald E, Murphy SA, Gibson CM, McCabe CH, Antman EM. Prasugrel compared with clopidogrel in patients undergoing percutaneous coronary intervention for ST-elevation myocardial infarction (TRITON-TIMI 38): double-blind, randomised controlled trial. Lancet 2009, Feb 28; 373 (9665): 723–31 (6) Wiviott SD, Braunwald E, McCabe CH et al.: The TRITON-TIMI 38 investigators. Prasugrel versus clopidogrel in patients with acute coronary syndromes. N Engl J Med 2007 Nov 15; 357(20): 2001–2015

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Paclitaxel: Beschichteter Ballonkatheter als neuer Therapiestandard der koronaren In-Stent-Stenose Matthias Leschke nlässlich des 75. Jahrestags der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie im April dieses Jahres wurde der Paclitaxel-beschichtete Ballonkatheter als neuartige Behandlungsmöglichkeit von In-Stent-Stenosen vorgestellt. Die Entwicklung des beschichteten Ballons (Drug Eluting Balloon, DEB) beruht auf einer Forschungskooperation von Prof. Dr. Ulrich Speck (Charité Berlin) und Prof. Dr. Bruno Scheller (Universitätsklinik Bad Homburg). Interessanterweise wurde beobachtet, dass keine lang anhaltende Arzneimittelfreisetzung von Paclitaxel an das Endothel, wie sie nach Implantation eines beschichteten Stents erfolgt, nötig ist, um eine Wiederverengung eines Gefäßes (Restenose) langfristig zu verhindern. Im Rahmen der Forschungsarbeiten wurde ein Verfahren entwickelt, um einen Ballonkatheter mit dem Wirkstoff Paclitaxel in einer speziellen Matrix zu beschichten (1, 2).

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Bei der bisherigen Behandlung von verengten Herzkranzgefäßen wurden die Stenosen mit einem Ballonkatheter zunächst erweitert, und dann wurde ein Stent – ein flexibles Metallgeflecht – in das Gefäßsegment implantiert. Damit sich keine Restenose entwickelt, können Stents mit Medikamenten mit antiproliferativen Eigenschaften beschichtet werden. Ein Nachteil dieser beschichteten Stents (Drug Eluting Stents) ist jedoch, dass auch nach mehreren Monaten, zum Teil sogar noch nach mehreren Jahren aufgrund der Wirkstofffreisetzung keine vollständige Endothelialisierung des Stents erfolgt. Damit besteht langfristig das Risiko einer akuten bzw. späten Stentthrombose. Das neue Verfahren mit einem medikamentenbeschichteten Ballon verhindert nachweislich die unerwünschte Wiederverengung auch in bereits vorhandenen Koronarstents. Die Ergebnisse der „PEPCAD-Studie“

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Matthias Leschke Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie Klinikum Esslingen Hirschlandstraße 97 73730 Esslingen Tel.: 07 11/31 03-24 01 Fax: 07 11/31 03-24 05 m.leschke@klinikum-esslingen.de

Hochgradige, vom Stamm der linken Koronararterie ausgehende In-Stent-Stenose des Ramus circumflexus (Gefäß rechts)

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Insufflation des beschichteten Ballons (rechter Ballon), der vom Stamm der linken Koronararterie in den Ramus circumflexus positioniert ist, in „Kissing-balloon-Technik“ bei gleichzeitigem Einsatz eines konventionellen Ballonkatheters (linker Ballon) im Bereich vom linken Hauptstamm und Ramus interventricularis anterior

Literatur (1) Scheller B, Hehrlein C, Bocksch W, Rutsch W, Haghi D, Dietz U, Böhm M, Speck U. Treatment of coronary in-stent restenosis with a paclitaxel-coated balloon catheter. N Engl J Med 355; 2006: 2113– 2124

zur Evaluierung des Verfahrens bestätigen die Sicherheit und Wirksamkeit des beschichteten Ballonkatheters bei der Behandlung erneut verengter Gefäße trotz der kurzen Einwirkungszeit des Ballonkatheters. So konnte eine im Vergleich zum Drug Eluting Stent bessere Hemmung der erneuten Wiederverengung gezeigt werden (2, 3). Demnach ist der

SeQuent® Please Ballonkatheter der erste und bislang einzige medikamentenfreisetzende Ballonkatheter (Drug Eluting Balloon = DEB), dessen klinische Wirksamkeit bei der Behandlung verengter Herzkranzarterien erfolgreich nachgewiesen wurde. So wurden die Ergebnisse jüngst in einem Artikel in der Zeitschrift Circulation vorgestellt, wonach die

(2) Scheller B, Hehrlein C, Bocksch W, Rutsch W, Haghi D, Dietz U, Böhm M, Speck U. Two year follow-up after treatment of coronary in-stent restenosis with a paclitaxel-coated balloon catheter. Clin Res Cardiol 2008 Oct; 97(10): 773–81 (3) Silber S, Borggrefe M, Böhm M, Hoffmeister HM, Dietz R, Ertl G, Heusch G. Medikamente freisetzende Koronarstents (DES) und Medikamente freisetzende Ballonkatheter (DEB): Aktualisierung des Positionspapiers der DGK. Clin Res Cardiol 97 (2008): 548–563 (4) Unverdorben M, Vallbracht C, Cremers B et al. Paclitaxel-coated balloon catheter versus paclitaxelcoated stent for the treatment of coronary in-stent restenosis. Circulation 2009; 119: 2986–2994

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Abschlussdarstellung der linken Kranzarterie mit einem Führungskatheter bei exzellenter Aufweitung der initial hochgradigen In-Stent-Stenose des Ramus circumflexus


Behandlung von In-Stent-Restenosen im Paclitaxel-beschichteten Ballonkatheter erfolgreicher ist als der bisherige Therapiestandard einer erneuten Implantation eines beschichteten Stents (4). Im Unterschied zu bisherigen Ballonkathetern setzt der SeQuent® Please Ballonkatheter dabei gleichzeitig Paclitaxel von der Ballonoberfläche frei, das von der umgebenden Gefäßwand aufgenommen wird. Durch die spezielle Technologie dieses Ballonkatheters gelingt es, in einer kurzen Kontaktzeit von nur wenigen Sekunden eine ausreichende Wirkstoffdosis von der Ballonoberfläche in die Gefäßwand zu übertragen. Paclitaxel hemmt das Wachstum und die Ausbreitung glatter Muskelzellen über einen längeren Zeitraum und verhindert so, dass die wiedereröffnete Stelle erneut stenosiert. Die Matrix ist biologisch abbaubar und löst sich nach Einsatz vollständig auf. Es bleiben keine Fremdkörper an der Stelle des

Eingriffs zurück, dadurch wird das Risiko von Thrombosen minimiert. Zudem kann bei Patienten die Einnahmedauer der Thrombozytenaggregationshemmer gegenüber einer Implantation eines beschichteten Stents erheblich verkürzt werden. Statt der bisher üblichen Einnahmedauer von bis zu 12 Monaten reicht beim SeQuent® Please Ballonkatheter eine Nachbehandlung von maximal drei Monaten aus. In der in Circulation (4) publizierten Studie kam es nach sechs Monaten bei den Patienten, die mit dem SeQuent® Please Ballonkatheter behandelt wurden, nur in 6,7 % der Fälle zu einer erneuten Intervention. Bei jenen Patienten, bei denen der Paclitaxel-freisetzende Stent zum Einsatz kam, waren es hingegen 20,4 %. Diese positive Studienlage hat mittlerweile schon Eingang in die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie gefunden (3).

Kasuistik In der nachfolgenden Kasuistik wird der erfolgreiche Einsatz des Paclitaxel-beschichteten Ballonkatheters bei einer 60-jährigen Patientin mit zweimalig sich entwickelnder hochgradiger In-Stent-Restenose des proximalen Ramus circumflexus unmittelbar im Abgangsbereich des Hauptstammes beschrieben. Nachdem bei der ersten In-Stent-Stenose eines Drug Eluting Stents im Dezember 2008 erneut ein medikamentenbeschichteter Stent implantiert worden war, stellte sich die Patientin im Juni 2009 wiederum mit typischen belastungsabhängigen pectanginösen Beschwerden vor. Ein Belastungs-EKG war diagnostisch nicht aussagefähig, die Patientin hatte nach der letzten Implantation eines Drug Eluting Stents konsequent eine duale Thrombozytenaggregationshemmung mittels Clopidogrel und Aspirin vorgenommen. Darüber hinaus wurde die arterielle Hypertonie adäquat mit einem AT1-Blocker in Kombination mit einem Diuretikum sowie einem Betablocker behandelt. Unter einer Statintherapie lagen die LDL-Cholesterinwerte weit unter 100 mg/dl bei ausreichend hohen HDLCholesterinwerten. Bei der erneuten Koronarangiographie am 19.6.2009 zeigte sich eine filiforme In-StentStenose des großen Ramus circumflexus direkt im Abgang aus dem Hauptstamm der linken Koronararterie. Um ein „Plaque-Shifting“ in den Ramus interventricularis anterior und damit dessen Stenosierung zu verhin-

dern, erfolgte die Intervention mittels „Kissing-BalloonTechnik“, indem ein konventioneller Ballonkatheter (2,5 x 20 mm) vom Hauptstamm der linken Koronararterie in den Ramus interventricularis anterior und der beschichtete Ballonkatheter vom Hauptstamm der linken Koronararterie in den Ramus circumflexus positioniert wurde. Anschließend erfolgte die simultane Insufflation beider Ballonkatheter. Bei der abschließenden Kontrastmitteldarstellung der linken Koronararterie zeigte sich ein exzellentes Interventionsergebnis. Für den Erfolg der Behandlung ist einerseits eine Kontaktzeit von ca. 30 Sekunden erforderlich, ferner sollte gewährleistet sein, dass der beschichtete Ballonkatheter den Stent vollständig überlappt. Die Patientin sollte die duale Thrombozytenaggregationshemmung für noch weitere sechs Monate fortsetzen. Derzeit fühlt sich die Patientin subjektiv beschwerdefrei. Das Behandlungsprinzip wird in der Circulation-Arbeit von Martin Unverdorben und Koautoren vorgestellt (4). Von der Circulation-Redaktion wird als klinische Perspektive für den beschichteten Ballonkatheter formuliert, dass die Behandlung von In-Stent-Restenosen offenbar wirksamer ist als die Implantation eines zweiten beschichteten Stents und demnach für die Behandlung der In-Stent-Restenose zukünftig keine zweite Stent-Implantation erforderlich ist.

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Somnologische Notizen Hätten Sie´s gedacht? 10 erstaunliche Erkenntnisse aus der Schlafmedizin für die Kardiologie Neue Untersuchungen zeigen immer mehr Querverbindungen zwischen der Schlafmedizin und der Kardiologie auf. So erhöhen schlafbezogene Atemstörungen beispielsweise nicht nur das Risiko für Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall; es bestehen auch enge Zusammenhänge zwischen Schlafapnoe, Herzrhythmusstörungen und Herzinsuffizienz. Eine enge Kooperation zwischen den beiden Disziplinen ist daher unabdingbar. Manfred Held

Schlaf und Rhythmusstörungen 1 74% der Patienten mit Vorhofflimmern leiden gleichzeitig an einer schlafbezogenen Atmungsstörung. Bittner et al. Schlafbezogene Atmungsstörungen. Charakteristika bei Vorhofflimmern und erhaltener linksventrikulärer Pumpfunktion. Dtsch Ärztebl Int 2009; 106(10): 164–70

2 Insbesondere ein mittelschweres und schweres obstruktives SchlafapnoeSyndrom (OSAS) beeinträchtigt die rechts- und linksventrikuläre Funktion und erhöht das linksatriale Volumen. Damit könnte ein OSAS die Entwicklung von Vorhofflimmern begünstigen. Abel et al. Decreased right and left ventricular myocardial performance in obstructive sleep apnea. CHEST 2007; 132: 1863–70

Schlaf und Herzinsuffizienz 3 71% aller Patienten mit einer Herzinsuffizienz NYHA II und III und einer EF < 40% haben eine schlafbezogene Atmungsstörung. Arbeitsgruppe „Kreislauf und Schlaf“ der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Eur Respir J 2007; 29: 1201–5

4

Lanfranchi et al. Prognostic value of nocturnal Cheyne-Stokes respiration in chronic heart failure. Circulation 1999; 99: 1435–40

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möglicherweise einen gut behandelbaren Risikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung dar. Sorajja et al. Independent association between obstructive sleep apnea and subclinical coronary artery disease. CHEST 2008; 133: 927–33

8 5 Patienten mit Herzinsuffizienz und schlafbezogenen zentralen Apnoen weisen im Vergleich zu Patienten mit OSAS und Herzinsuffizienz oder mit Herzinsuffizienz alleine die höchste Aktivierung des sympathischen Nervensystems auf. Solin et al. Impact of sleep apnea on sympathetic nervous system activity in heart failure. CHEST 2003; 1119–26

Nächtliche O2-Entsättigungen bei OSAS tragen entscheidend zur koronaren Arteriosklerose bei Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung bei. Motonori et al. Nocturnal oxygen desaturation correlates with the severity of coronary atherosclerosis in coronary artery disease. CHEST 2003; 124: 963–941

Schlaf und Operation 9

6 Patienten mit Herzinsuffizienz und Cheyne-Stokes-Atmung weisen im Vergleich zu Patienten mit Herzinsuffizienz ohne Cheyne-Stokes-Atmung eine erhöhte Letalität auf. Hanly et al. Increased mortality associated with Cheyne-Stokes respiration in patients with congestive heart failure. Am Rev Respir Dis; 153: 272–6 Lanfranchi et al. Prognostic value of nocturnal Cheyne-Stokes respiration in chronic heart failure. Circulation 1999; 99: 1435–40

Schlaf und Koronarsklerose 7

Zentrale schlafbezogene Atmungsstörungen treten je nach Untersuchung bei 45 bis 82% aller Patienten mit Herzinsuffizienz auf.

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Javaheri et al. Sleep apnea in 81 ambulatory male patients with stable heart failure: types and their prevalences, consequences, and presentations. Circulation 1998; 97: 2154–9.

Koronar beschwerdefreie Patienten zeigen eine unabhängige Assoziation zwischen dem Schweregrad ihrer Schlafapnoe und dem Ausmaß von Koronarkalk. Ein OSAS stellt damit

Fast jeder zehnte (9%) aller Patienten, die sich einem operativen Eingriff unterziehen, leidet an einem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom (OSAS). Auckley D et al. Does screening for sleep apnea with the Berlin Questionnaire predict elective surgery postoperative complications? Sleep 2003; 26(suppl): A238–9

10 Patienten mit Schlafapnoe, die sich einer kardiovaskulären Operation unterziehen, haben deutlich mehr kardiopulmonale postoperative Komplikationen, wenn eine auch nur geringgradige schlafbezogene Atmungsstörung (> 5 Atemunregelmäßigkeiten/Stunde) vorliegt. Hwang D et al.: Association of sleep-disordered breathing with postoperative complications. CHEST 2008; 133: 1128–34


Kurze Schlafdauer ist unabhängiger KHK-Risikofaktor ine Auswertung von Schlafdaten der Coronary Artery Risk Development in Young Adults (CARDIA)-Studie hat ergeben, dass zu wenig Schlaf die Entstehung einer koronaren Herzkrankheit begünstigen kann. Die Autoren berechneten bei 495 Studienteilnehmern die FünfJahres-Inzidenz einer Arteriosklerose der Herzkranzgefäße. (Die Koronararterien der Probanden im Alter von 35 bis 47 Jahren waren bei der zu Beginn der Studie durchgeführten Computertomographie frei von arteriosklerotischen Plaques gewesen; fünf Jahre später wurde erneut eine CT durchgeführt.)

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Schlafdauer und Schlafqualität der Studienteilnehmer wurden anhand von Fragebögen (u. a. zu Tagesschläfrigkeit und Schnarchen), Schlaftagebüchern und mittels eines Aktimeters beurteilt. Das erstaunliche Ergebnis der Studie: „Kurzschläfer“ (weniger als sechs Stunden Schlaf) haben ein erhöhtes KHKRisiko, und zwar unabhängig von anderen Risikofaktoren für die ArterioskleroseEntstehung wie Alter, Geschlecht, Blutdruck und Körpergewicht. Welcher Mechanismus dieser Korrelation zwischen Schlafdauer und koronarer Herzkrankheit zugrunde liegt, ist noch unbekannt.

King CR, Knutson KL, Rathouz PJ, Sidney S, Liu K, Lauderdale DS. Short Sleep Duration and Incident Coronary Artery Calcification. JAMA, Dec. 24/31.2008; vol. 300, No. 24: 2859–66

FLO Medizintechnik: Start der multizentrischen Heart-ImPAP Studie ie zentrale Atemregulation ist bei Herzinsuffizienz (CHF) häufig im Sinne einer Cheyne-Stokes-Atmung (CSR) gestört. Die Pathophysiologie der SBAS kann zur Progression der Herzinsuffizienz beitragen (Jahaveri, Circulation 1998; 97:2154–59). Die Pathophysiologie ist komplex und setzt sich aus einer Interaktion von mechanischen, hämodynamischen, neuralen und humoralen Faktoren zusammen. Im Vordergrund steht hierbei die spezifische Störung des vaskulären Mikromilieus im Rahmen der Hypoxie über sympathische Nervenaktivität (SNA), Sauerstoffradikale und proinflammatorische Veränderungen. (Nach Schulz, R. Dtsch Arztebl 2006;103(12): A775–81). Somit ist bei bestehender Herzinsuffizienz eine effektive Therapie

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der SBAS zu fordern, da dadurch eine positive Prognose für die Herzerkrankung erwartet werden kann (Jahaveri, Circulation 1998; 97:2154–59). Die bisherigen Behandlungserfolge der hier eingesetzten ImPAP Therapie (nächtliche, nasale Überdrucktherapie mit Impulsen zur Behandlung der zentralen und obstruktiven Atmungsstörung im Schlaf) sollen nun durch eine multizentrische Studie bestätigt werden. Primäre Ziele der Studie sind die Veränderung der Sauerstoffaufnahme in der Spiroergometrie und die Verbesserung der Ejektionsfraktion (EF) des Herzens unter Therapie. Die Therapieeinstellung soll unter standardisierten Bedingungen der Polysomnographie (AASM) erfolgen. Redaktion

Korrespondenzadresse für interessierte Zentren: FLO Medizintechnik GmbH Westhoyeler Straße 25 49328 Melle Tel.: 00 49 52 26/98 78 73 info@flo-medizintechnik.de

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MRT auch für Herzschrittmacherpatienten Andrik Aschoff, Werner Waldmann Die Kernspintomographie oder Magnetresonanztomographie, kurz MRT, setzt sich als modernes diagnostisches Verfahren immer mehr durch. Derzeit werden weltweit rund 60 Millionen MRT-Untersuchungen pro Jahr durchgeführt. Auf der anderen Seite bekommen jedes Jahr eine Million Menschen weltweit einen Herzschrittmacher implantiert. Man schätzt, dass alle sechs Minuten in Europa einem Herzschrittmacher-Träger aus Sicherheitsgründen jedoch eine notwendige MRT-Untersuchung verwehrt wird. Diese Einschränkung könnte bald der Vergangenheit angehören. omputertomografie (CT) versus Magnetresonanztomografie: Lange Zeit hatte das CT „die Nase vorn“. CT-Bilder sind in kurzer Zeit (wenige Minuten) und in oft bestechender Qualität realisiert. Untersuchungen mit dem MRT dauern wesentlich länger (15 bis 30 Minuten) und werden von Menschen mit Klaustrophobie oft weniger gut toleriert, da man durch eine Art engen Röhre liegen muss. Die MRT kommt jedoch ohne ionisierende Strahlen aus und ist besonders bei der Tumordiagnostik, bei neurologischen und muskuloskelettalen Erkrankungen, aber auch bei pathologischen Prozessen des Gehirn und Rückenmark mittlerweile unersetzbar. Die MRT-Untersuchung basiert auf starken Magnetfeldern und elektromagnetischen Wechselfedern im Radiofrequenzbereich, mit denen sich Atomkerne (Wasserstoffatome) im Körper anregen lassen. Die angeregten Atomkerne wiederum erzeugen Echos, die von Antennen (sog. Spulen) erfasst und im Rechner in Bilder vom Körperinneren umgesetzt werden. So können fast alle anatomischen Strukturen im Körper sehr detailgetreu dargestellt werden können. Darüber hinaus, und dies ist für die Beantwortung bei kardiologischen Fragestellungen sehr wichtig, können Bewegungsanalysen und andere Funktionen wie zum Beispiel die Herzmuskeldurchblutung und der Blutfluss in den Gefäßen bestimmt werden. Die spezielle Herz-MRT erlaubt es, die Funktionsfähigkeit direkt am schlagenden Herzen zu beurteilen. Die Bestimmung der Herzmuskeldurchblutung mit der MRT wird beispielsweise nicht von Artefakten aus verkalkten Herzkranzgefäßen beeinträchtigt. So bietet die MRT gerade für Patienten mit einer Herzerkrankung bei bestimmten Indikationen oft wichtige Zusatzinformationen.

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Leider nicht für Schrittmacherträger Leider ist die MRT-Untersuchung nicht für alle Patienten geeignet: Das Magnetfeld kann Metalle und elektronische Geräte negativ beeinflussen. Bei Herzschrittmacherpatienten wird dies unter Umständen sogar gefährlich, denn der Schrittmacher und die an den Herzmuskel angeschlossenen Elektroden bestehen aus Metall. In diesen Drähten wird durch das wechselnde Magnetfeld Strom induziert, der zu einer Beschädigung der Elektronik im Herz-

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schrittmacher und zu starker Erhitzung an der Kontaktstelle zum Herzen mit Verbrennungsgefahr am Herzen führen kann., Außerdem kann die sensible Elektronik des Schrittmachers durch die Hochfrequenzfelder negativ beeinflusst werden, dass er entweder seine Funktion ganz einstellt oder mit Frequenzen jenseits der Frequenzgrenze hinaus stimuliert. Dies bedeutet sogar Lebensgefahr für die Herzschrittmacherpatienten. Somit sind Patienten mit Herzschrittmachern bislang von MRT-Scans ausgeschlossen. Schätzungen zufolge hätten 16 % der Herzschrittmacherträger während der letzten 12 Monaten ein MRT-Scan dringend benötigt. Außerden ist davon auszugehen, dass 5075 % aller Herzschrittmacherpatienten während der Laufzeit ihres Gerätes zu einer MRT-Untersuchung überwiesen werden sollten.

MRT-Untersuchungen jetzt auch auch für Herzschrittmacherträger Die Firma Medtronic ermöglicht die MRT nun auch für Patienten mit Herzschrittmachern – vorausgesetzt, sie tragen den MRT-tauglichen Herzschrittmacher EnRhythm MRI. Das neue Gerät mit einer speziellen Stimulationselektrode ist das erste und bisher einzige, am Menschen getestete und für die MRT-Nutzung zugelassene Herzschrittmacher- und Elektrodensystem weltweit.. Das System besteht aus dem Zweikammerschrittmacher EnRhythm MRI SureScan und der Stimulationselektrode CapSureFix MRI SureScan. Das System ist so konzipiert, dass eine externe Energieeinstrahlung nur in absolut minimalem Maße über das Stimulationssystem weitergeleitet wird. Der neue Schrittmacher verfügt über eine Sicherheits-Funktion (SureScan), die vor der Untersuchung im MRT aktiviert werden muss. Dabei wird der Schrittmacher für die Untersuchungszeit auf einen anderen Wahrnehmungs- und Überwachungsmodus programmiert, der die MRT-Einstrahlung berücksichtigt und weiterhin eine asynchrone Stimulation abgibt. Bei Röntgenaufnahmen gibt sich das Gerät als MR-tauglich (MR-Conditional) zu erkennen – MR-Conditional ist eine Bezeichnung für den MR-Bereich, die angibt, dass das Implantat


unter bestimmten Bedingungen (z. B. ein bestimmter MRT-Typ, bestimmte Scan-Einstellungen) für das Verfahren zulässig ist. Das MedtronicSystem kann in den bei MRTAnlagen mit einer Feldstärke von 1,5 Tesla auftretenden elektrischen und magnetischen Feldern bedenkenlos eingesetzt werden. Die CapSureFix MRI SureScan Elektrode ist eine modifizierte Ausführung der Medtronic CapSureFix Novus Elektrode mit aktiver Fixierung. Bei den in drei Längen angebotenen atrialen und ventrikulären Elektroden weist

dieser Draht eine modifizierte Zusammensetzung auf, die das Risiko einer zu starken Erwärmung während des MRTScans verringert, ohne dabei die Fähigkeit zur Abgabe der Stimulationstherapie einzuschränken. Mit dem Advisa DR MRI SureScan Pacing System hat Medtronic inzwischen noch ein zweites System in Europa gelauncht, dass erstmalig gleichzeitig die MRT-Sicherheits-Komponente mit anderen Geräte-Eigenschaften von Medtronic Herzschrittmacher- und Defibrillator-Systemen wie MVP (Managed Ventricular Pacing) und OptiVol® Fluid Status Monitoring zur automatischen Überwachung des Flüssigkeitsstatus verbindet. Die Ingenieure von Medtronic arbeiten nun daran, ein MRT-taugliches ICD-System zu entwickeln, damit noch weitere Träger implantierter Systeme für die Unterstützung der Herzfunktion von den diagnostischen Vorzügen der MRT-Technologie profitieren können.

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Andrik J. Aschoff Abteilung für Radiologie Klinikum Kempten-Oberallgäu Robert-Weixler-Str. 50 87439 Kempten Tel.: 08 31/5 30-35 69 Fax: 08 31|5 30-35 99 Andrik.Aschoff@Klinikum-Kempten.de

Der Herzschrittmacher EnRhythm MRI™ und die Elektrode CapSure Fix MRI™ bilden das weltweit erste System, das eine sichere Untersuchung von Herzschrittmacherträgern mit dem Magnetresonanztomographen ermöglicht. Das Gerät ist für die Untersuchung mit einem speziellen, programmierbaren Modus ausgestattet, der Einflüsse durch die starken Magnetfelder ausschaltet. In der Elektrode verhindert eine spezielle Anordnung der Leiter die Überhitzung der Elektroden im Magnetfeld.

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Haftung und Arzneimittel im Off-Label-Use Maximilian G. Broglie und Lorenz Maximilian Rasch ls Off-Label-Use bezeichnet man die Anwendung eines Arzneimittels außerhalb seiner behördlichen Zulassung, mithin außerhalb des im Zulassungsbescheid genannten Therapiegebietes, der Indikation, Darreichungsform oder Dosierung. Da die zulassungsüberschreitende Anwendung eines Arzneimittels zum Teil aus wissenschaftlicher Sicht zur Standardtherapie zu zählen ist, muss der Arzt im Rahmen seiner Pharmakotherapie die Möglichkeit einer Verordnung jenseits der Zulassungsgrenzen in Erwägung ziehen. Hieraus ergeben sich einerseits Fragestellungen, die das Verhältnis zwischen Arzt und Patient betreffen. Andererseits muss der Arzt auch Regressgefahren durch die gesetzlichen Krankenversicherungen erwägen.

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Grundlagen des Off-Label-Use Die Indikation zur Verordnung eines Arzneimittels stellt den körperlichen oder seelischen Zustand dar, zu dessen Beeinflussung das Medikament entsprechend der Genehmigung durch die Zulassungsbehörde eingesetzt werden soll. Der Anwendungsbereich eines Arzneimittels knüpft jedoch an die arzneimittelrechtliche Zulassung an, deren Umfang im Zulassungsverfahren wiederum durch den jeweiligen Hersteller vorgegeben wird. Der Hersteller hat es in der Hand, den Anwendungsbereich eines Arzneimittels zu beschränken. Meist sind es wirtschaftliche Erwägungen, die den Hersteller zu einer derartigen Beschränkung des Anwendungsbereiches veranlassen, z. B. die zu erwartenden hohen Kosten für die Durchführung weiterer, notwendiger klinischer Studien für weitere Anwendungsgebiete. Die Zulassung für ein Arzneimittel wird erteilt, wenn es wirksam und unbedenklich ist. Die zuständige Behörde stellt nach der Feststellung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit durch Zulassungsbescheid die Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels fest. Wirksam und unbedenklich kann ein Arzneimittel jedoch auch außerhalb der Feststellung der Verkehrsfähigkeit sein. Beispielsweise kann es mangels alternativer Arzneimittel in der Pädiatrie notwendig sein, ein Arzneimittel anzuwenden, obwohl die Verkehrsfähigkeit für diesen Bereich gerade nicht festgestellt wurde.

Anspruch des Patienten auf Off-Label-Use aus dem Behandlungsvertrag Im Rahmen der ärztlichen Behandlung schuldet der Arzt dem Patienten eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung nach dem fachärztlichen Standard. Diese unterliegt im Wesentlichen seiner ärztlichen Therapiefreiheit, die im Grunde auch die Freiheit beinhaltet, ein Arzneimittel einzusetzen, welches nicht über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügt. Im Einzelfall kann sich sogar eine Rechts-

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pflicht für den Arzt ergeben, ein Arzneimittel für eine Indikation anzuwenden, für welche es nicht zugelassen ist. Diese Rechtspflicht ergibt sich, wenn die Verordnung aus medizinischen Gründen geboten ist. Dem steht das Arzneimittelrecht grundsätzlich nicht entgegen, da es die Möglichkeit bietet, ein Medikament, das gegen bestimmte Erkrankungen auf dem Markt ist, auch gegen eine andere Erkrankung einzusetzen. Nach der Rechtsprechung ist dies dann der Fall, wenn das Arzneimittel medizinisch-wissenschaftlich erprobt ist und die Nebenwirkungen bekannt sind. Es besteht in der wissenschaftlichen Diskussion weitgehende Einigkeit darüber, dass in bestimmten Versorgungsbereichen und bei einzelnen Krankheitsbildern auf einen die Zulassungsgrenzen überschreitenden Einsatz von Medikamenten nicht völlig verzichtet werden kann, wenn dem Patienten eine dem Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht vorenthalten werden soll. Im Rahmen der bei jeder Arzneimitteltherapie vorzunehmenden Nutzen-Risiko-Abwägung muss demnach gegebenenfalls auch die Möglichkeit einer Anwendung eines Arzneimittels abseits der durch die Zulassung vorgegebenen Indikationen erwogen werden. Hier muss demnach die Off-Label-Therapie ins Verhältnis zur Nichtbehandlung der Erkrankung oder zu deren Behandlung mit einem anderen Medikament gesetzt werden.

Zivilrechtliche Haftungsgefahren Zum Einen kann nach dem Vorgenannten eine Haftung auf Schadensersatz des Arztes dann gegeben sein, wenn die Off-Label-Verordnung zum Facharztstandard zu zählen ist und der Arzt dem Patienten diese Verordnung verweigert hat. Zum Anderen muss jedoch ausreichend über die OffLabel-Verordnung aufgeklärt werden. Die Aufklärung des Patienten muss hierbei besonders gründlich sein, damit dieser in die Therapie einwilligen kann. Eine Einwilligung des Patienten ist nämlich rechtlich nur wirksam, wenn dem Patienten eine eigene Abwägung der Nutzen und Risiken der Therapie ermöglicht wird und er sich auf dieser Grundlage für die Therapie entscheidet. Nach der Rechtsprechung ist insoweit ein Hinweis auf die Packungsbeilage schon im Rahmen der On-Label-Therapie nicht ausreichend. Gerade im Bereich der Off-Label-Therapie wird ein solcher Hinweis nicht ausreichen, weil die Packungsbeilage naturgemäß nur Aussagen zur On-Label-Therapie enthält. Die Rechtsprechung hat insoweit klargestellt, dass im Bereich der OffLabel-Verordnung ausdrücklich über den Off-Label-Use aufgeklärt werden muss. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Inhalt des Aufklärungsgesprächs im Zweifel durch ein Zivilgericht nachprüfbar sein muss. Da


der Arzt insoweit darlegungs- und beweispflichtig ist, ist ihm zu empfehlen, peinlich genau den Inhalt des Aufklärungsgesprächs zu dokumentieren. Hierbei sollten die dem Patienten dargestellten Kriterien für die Nutzen-RisikoAbwägung stichwortartig notiert werden.

Off-Label-Risiko und Haftpflichtversicherung Wichtig ist für den Arzt auch, den Einsatz der Off-LabelVerordnung mit der Haftpflichtversicherung abzustimmen. Deckungsschutz besteht in der Regel, soweit die Off-LabelVerordnung in der Heilkunde anerkannt ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich die Off-Label-Verordnungen als Behandlungsstandard darstellen. Wenn dies nicht der Fall ist, handelt es sich um ein gesondert zu versicherndes Risiko. Insoweit kommt es auf die individuellen Versichungsbedingungen zwischen Arzt und Haftpflichtversicherung an. Damit sich kein nichtversichertes Risiko ergibt, ist es dringend zu empfehlen, eine solche Therapie mit der Haftpflichtversicherung abzustimmen und gegebenenfalls das Risiko gesondert für den Einzelfall zu versichern.

Voraussetzungen für Off-Label-UseArzneimittelverordnungen Im Rahmen der Therapie eines gesetzlich versicherten Patienten sind besondere Voraussetzungen durch den Arzt zu berücksichtigen, die eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich machen. Einerseits ist die Off-Label-Verordnung dann zulässig, wenn die Therapie in der Positivliste der Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses aufgeführt ist. Seit dem Jahre 2005 werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss Expertengruppen mit der Bewertung von Off-Label-Therapien beauftragt, deren Ergebnisse die Aufnahme der Arzneimitteltherapie in die Positivliste zur Folge haben können. Wenn dies der Fall ist, kann das entsprechende Arzneimittel auch außerhalb der Zulassungsgrenzen zu Lasten der GKV verordnet werden. Soweit dies nicht der Fall ist, muss durch den Arzt andererseits geprüft werden, ob die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV im jeweiligen Einzelfall erfüllt sind. Danach 1. muss eine schwerwiegende Erkrankung vorliegen, 2. darf keine andere Therapie verfügbar sein und 3. muss aufgrund der Datenlage eine begründete Aussicht bestehen, dass mit dem Präparat ein Behandlungserfolg, kurativ oder palliativ, erzielt werden kann. Eine Erkrankung ist dann schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigt. Daneben muss sich die Erkrankung nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abheben. Die Rechtsprechung hat bei dieser Voraussetzung im Blick, dass die Hersteller das Erfordernis der

Arzneimittelzulassung nicht umgehen sollen, denn eine weite Verbreitung des Off-Label-Use könnte die Hersteller dazu veranlassen, aus Kostengründen den Anwendungsbereich immer enger zu ziehen und den Off-Label-Use als Markt „ohne Zulassung“ und teure Studien zu verstehen. Der Begriff der verfügbaren alternativen Arzneimitteltherapie ist weit auszulegen. Eine solche liegt auch dann vor, wenn ein Arzneimittel zugelassen ist, das pharmakologisch anders wirkt oder weniger wirksam ist. Eine begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg hat ein Arzneimittel dann, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass eine Zulassung für die Indikation erfolgen kann. Wichtig ist für den Arzt insoweit, dass es nicht seiner eigenen Ermessensentscheidung obliegt, ob anerkennenswerte Forschungsergebnisse vorliegen, sondern vielmehr objektiv zu beurteilen ist. Derartige Forschungsergebnisse sind zum Einen nur dann anerkannt, wenn die Zulassung bereits für die Indikation beantragt wurde und die Ergebnisse einer Phase III-Studie veröffentlicht sind, die die Wirksamkeit belegen. Zum Anderen kann eine zulassungsüberschreitende Arzneimitteltherapie auch dann möglich sein, wenn eine Zulassung noch nicht beantragt wurde. Wichtig ist jedoch, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse qualitativ gleichwertig zu solchen Ergebnissen sind, die im Rahmen von Studien erworben werden können. Im Sonderfall der akut lebensbedrohlichen Krankheit genügt nach der Rechtsprechung bereits eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Wenn die Voraussetzungen für einen OffLabel-Use erfüllt sind, kann der Arzt das Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen. Sollten sich dem Arzt insoweit jedoch Zweifel ergeben, ist zu empfehlen, das Arzneimittel auf Privatrezept zu verordnen, damit er einer möglichen Regressgefahr durch die Kassenärztliche Vereinigung entgehen kann.

Schlussbemerkung Zusammenfassend sollte der Arzt insbesondere gegenüber dem Patienten auf eine vollständige Aufklärung und deren Dokumentation achten. Hier können bereits im Vorfeld die Weichen für eine konfliktfreie Arzneimitteltherapie gestellt werden. Maximilian Guido Broglie, Fachanwalt für Medizin- und Sozialrecht Korrespondenzadresse: Broglie, Schade & Partner GBR Rechtsanwälte Sonnenberger Straße 16 65193 Wiesbaden Tel.: 06 11/1 80 94 14 Fax: 06 11/1 80 95 18 lotz@arztrecht.de; www.arztrecht.de

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Vorreiter in der Elektrophysiologie: die Kardiologie am Klinikum Coburg Marion Zerbst er die Hightech-Kardiologie der II. Medizinischen Klinik des Klinikums Coburg betritt, kann sich kaum vorstellen, dass diese Klinik noch vor zehn Jahren ein total veraltetes, von Grund auf modernisierungsbedürftiges Landkrankenhaus war. Als Johannes Brachmann, der Chef der Abteilung, im Februar 1998 hierher kam, war das damalige Landkrankenhaus Coburg gerade auf dem Weg zur Privatisierung. „Sogar eine große Unternehmensberatungsfirma wurde hinzugezogen, um zu prüfen, wie man dieses subventionslastige Haus, das eigentlich nie gelernt hatte, Geld zu verdienen, auf den neuesten Stand der Medizin bringen könnte. Denn wenn das Geld sowieso hereinkommt, stören die Patienten ja eigentlich nur“, sagt Brachmann augenzwinkernd. Vor allem in der Kardiologie lag damals mehr oder weniger alles im Argen. Mit teilweise völlig unzureichenden oder veralteten Geräten „wurstelte“ man mehr schlecht als recht vor sich hin. Kein Wunder, dass da kaum Patienten kamen: „In einem Funktionsraum stand ein EKG-Gerät in einer Ecke, ein Langzeit-EKG-Gerät mit zwei Aufzeichnungsgeräten in der zweiten Ecke, und in der dritten Ecke gammelte ein Herzecho-Gerät, das damals schon völlig veraltet war, vor sich hin. Die Mitarbeiterin, die diesen Bereich betreute, saß nachmittags da und rauchte mit ihren Kolleginnen Zigaretten, weil keine Patienten da waren“, erinnert Brachmann sich. Und natürlich gab es damals auch kein 24-Stunden-Herzkatheterlabor und erst recht keine Stroke Unit, sondern nur einen einzigen Kathetermessplatz.

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Chancenlos und doch erfolgreich Seiner optimistischen, zupackenden Mentalität entsprechend sah Brachmann in dem Desaster eine Herausforderung. Nach dem Motto: „Du hast keine Chance – also nutze sie!“ war er fest entschlossen, in Coburg eine große, moderne Hochleistungskardiologie aufzubauen. Dabei musste er anfangs gegen Windmühlenflügel ankämpfen: Denn der Träger der Klinik hatte kein Interesse an der Anschaffung teurer Hightech-Geräte für eine moderne Hochleistungskardiologie. Und auch die Beratungsfirma war der Ansicht, die Kardiologie sei „völlig überdimensioniert“ und müsse erst mal „auf das nötige Maß“ zurückgeschraubt werden. Den einzigen Kathetermessplatz sollte Brachmann sich zur Hälfte mit den Radiologen teilen und außerdem auch noch seine Privatstation abgeben. Auch die Krankenkassen zeigten sich anfangs wenig enthusiastisch: „Die haben mir kategorisch gesagt: Geld gibt es nicht für eine Kardiologie in Coburg; wir haben schließlich gut ausgestattete kardiologische Abteilungen in Schweinfurt, Bamberg, Bayreuth und Bad Neustadt. Noch eine weitere Kardiologie in dieser überversorgten Region ist das Letzte, was wir brauchen.“ Da ist es eigentlich kein Wunder, dass die Stimmung bei Prof. Brachmann und seinen MitarbeiterInnen in den ersten Wochen alles andere als euphorisch war. Aber das Team war von Anfang an engagiert und entschlossen, diese unhaltbaren Zustände zu ändern. „Jeden zweiten Abend saßen wir gegenüber von der Klinik in der Pizzeria Michelangelo, die es dort damals noch gab, zusammen


und berieten, wie man an diesem Krankenhaus eine moderne, funktionsfähige Kardiologie aufbauen könnte.“ Ein Mitarbeiter half Brachmann, indem er ihm einfach über den Kopf der Klinikverwaltung hinweg die nötigen Geräte bestellte. „Als die Verwaltung im Sommer 1998 dann allmählich merkte, wie die Kosten in die Höhe schossen, schlossen manche Mitarbeiter unseres Hauses sogar schon Wetten ab, wie lange ich wohl noch da sein würde“, schmunzelt Johannes Brachmann. Doch durch erste beeindruckende Behandlungserfolge gelangte die Kardiologie rasch zu Ansehen. „Am 17. Dezember erhielten wir die Zusage von der AOK, dass wir das Jahr 1998 und auch das Folgejahr bezahlt bekommen würden.“ Inzwischen ist die II. Medizinische Klinik des Klinikums Coburg, deren Schwerpunkt in der Behandlung von Herz-, Lungen- und Gefäßerkrankungen liegt, eine hochmoderne Abteilung, die über sämtliche nicht-invasiven und invasiven Methoden der Kardiologie, Angiologie und Pneumologie verfügt. Das Herzkatheterlabor hat inzwischen über 50 000 Untersuchungen und Interventionen durchgeführt. Für Schlaganfallpatienten steht eine Stroke Unit mit acht Betten zur Verfügung, die in einem 24-Stunden-Bereitschaftsdienst internistisch und neurologisch betreut wird. Auch Stentimplantationen der Karotis werden hier durchgeführt. Am Aufbau dieser Schlaganfalleinheit war Johannes Brachmann ebenfalls maßgeblich beteiligt: „Ich habe frühzeitig darauf eingewirkt, dass die Schlaganfalltherapie hier auf ein hohes Niveau angehoben wird und sich an den Leitlinien orientiert“, sagt er.

Wenn das Herz aus dem Takt gerät Hauptschwerpunkt der Kardiologie sind jedoch Herzrhythmusstörungen, die hier nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen diagnostiziert und behandelt werden. Es werden sowohl Defibrillatorbehandlungen bei tachykarden

Arrhythmien als auch Schrittmacherimplantationen bei Bradykardien vorgenommen. Absolutes Highlight der Klinik aber ist die Ablation von Vorhofflimmern mithilfe der hochmodernen 3D-Mapping-Anlage Myabi der Firma Siemens Medical Solutions, die im Jahr 2008 hier installiert wurde und mit deren Hilfe sich die Herzvorhöfe dreidimensional darstellen lassen. Diese Anlage ist in Coburg bislang einzigartig; es gibt kein anderes elektrophysiologisches Zentrum in Europa, das dieses Verfahren anwendet. Die räumliche Verbindung von Herzkatheterlabor und MRT erlaubt eine sofortige Kontrolle des Ablationseingriffs. In der Behandlung des Vorhofflimmerns durch Katheterablation kooperiert Brachmann mit einem früheren Mitarbeiter der Klinik, Dr. Nassir F. Marrouche, der das Atrial Fibrillation Centre an der University of Utah leitet – eine der herausragendsten Forschungs- und klinischen Abteilungen der USA. „Wenn Sie da drüben sind, machen Sie ruhig Karriere, aber bleiben Sie uns in Coburg trotzdem treu!, habe ich zu ihm gesagt, als er uns im Jahr 2002 verließ. Und daran hat er sich über all die Jahre hinweg auch immer gehalten.“ Weitere hochmoderne bildgebende Verfahren, die die Kardiologie in Coburg bei der Katheterablation einsetzt, sind die Rotationsangiografie, mit der ein dreidimensionales CT-Bild generiert werden kann (ein weiteres Forschungsprojekt in Kooperation mit Siemens), und der intrakardiale Ultraschall. Mit beiden Geräten steht die Coburger Kardiologie an vorderster Front: Mit ihren zwei Rotationsangiografie-Anlagen ist sie momentan die einzige Klinik in Europa, die eine solche Untersuchung anbietet; und auch den intrakardialen Ultraschall gibt es in Deutschland nur in wenigen Zentren. „Diese Besonderheiten ermöglichen es uns, auf hohem Niveau technische Entwicklung zu betreiben.“ Bei der intrakardialen Ultraschalluntersuchung wird ein

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spezieller Katheter in den rechten Herzvorhof eingebracht, und durch entsprechende Drehung und Krümmung des Katheters wird dann aus den Strukturen des Herzens, die den Mediziner interessieren, ein Ultraschallbild generiert. „Dadurch können wir z.B. bei der Lungenvenenablation bei Vorhofflimmern ganz genau sehen, wo wir uns gerade befinden. Wenn der Patient einen Perikarderguss entwickelt, erkennen wir das sofort; wir haben also eine ständige Online-Kontrolle des ganzen Prozesses.“ Abladiert wird in Coburg sowohl mit Hochfrequenzstrom als auch mit Kälte. Wann welches Verfahren indiziert ist, das ist nach wie vor nicht genau geklärt und immer noch Gegenstand groß angelegter Forschungsvorhaben. „Generell kann man sagen: Wenn es nur darum geht, die Lungenvene allein zu isolieren, bietet die Kryotechnik Vorteile – sie ist relativ schnell, wegen der großen Ballons aber nicht bei jedem Patienten anwendbar. Deshalb führen wir zu Beginn der Untersuchung eine MRT durch, um festzustellen, welches Verfahren für den Patienten am geeignetsten ist. Bei der Ablationstechnik mit

spielsweise Amiodaron.“ Viele jüngere Patienten lehnen eine Einnahme von Amiodaron von vornherein ab, wenn sie die lange Liste der Nebenwirkungen sehen. Die Coburger Kardiologie war bereits an etlichen Studien beteiligt, in denen der Stellenwert der Ablation in der Behandlung des Vorhofflimmerns geprüft wurde. Momentan führt die Medizinische Klinik II als Studienleitung zusammen mit Dr. Marrouche von der Universität Utah eine große multizentrische randomisierte klinische Endpunktstudie (die CASTLE AF-Studie) durch, in der geprüft wird, ob sich durch das innovative Mapping-System die Erfolgsrate der Ablation bei Patienten mit Vorhofflimmern erhöhen lässt. „Zwar erreichen wir beim Vorhofflimmern mit der Katheterablation momentan noch nicht die gleiche Erfolgsrate wie bei anderen Rhythmusstörungen wie beispielsweise Vorhofflattern oder AV-Knoten-Tachykardien; aber die Erfolgsrate wächst, und die Erfahrung auch. Und wir sind überzeugt davon, dass unsere neue MRT-Anlage uns dabei eine wichtige Hilfestellung gibt. Wir wollen das MRT künftig auch in Echtzeit nutzen; dies ist ebenfalls ein

Hochfrequenzstrom und Kühlung hat man eine effektivere Energieabgabe und erreicht auch tiefere Läsionen; aber dafür ist das Risiko höher, das Gefäß oder die Herzwand zu verletzen, und es kann auch leichter zu Schädigungen der Lungenvenen oder der Speiseröhre kommen. Einfachere Fälle oder Kinder und Jugendliche behandeln wir lieber mit der Kältetechnik; bei anderen Patienten, vor allem in komplizierten Fällen, wird immer noch die Hochfrequenzstromtechnik eingesetzt.“

Forschungsprojekt, das bei uns momentan läuft. Schon jetzt können wir den Vorhof vor und nach einer Ablation mit diesem speziellen MRT genau inspizieren und beispielsweise auch Narbenbildungen im Vorhof messen. All diese Untersuchungen können wir in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem Eingriff durchführen und dadurch viel besser beurteilen, wie umfangreich und auch wie präzise unsere Ablation gewesen ist.“ Natürlich spielt die Erfahrung des Arztes dabei eine wichtige Rolle. Die Lernkurve ist sehr hoch: „Um in der Katheterablation wirklich eine große Sicherheit und Eigenständigkeit zu entwickeln, bedarf es einer mehrjährigen Ausbildung. Wir haben momentan drei sehr gute Spezialisten auf dem Gebiet der Katheterablation und bilden auch noch weitere aus.“

Hightech-Equipment für die Katheterablation Johannes Brachmann ist fest davon überzeugt, dass die Ablation die Therapie der Zukunft bei Vorhofflimmern ist. Schon heute behandelt er einen Großteil seiner Patienten damit, und zwar mit großem Erfolg: „In einigen Fällen setzen wir durchaus noch Medikamente ein; aber bei vielen Patienten ist die Ablation bei uns inzwischen heute schon die Primärbehandlung – nicht zuletzt wegen des ungünstigen Nebenwirkungsprofils von Antiarrhythmika wie bei-

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Sportkardiologie und Prävention Ein weiteres wichtiges Schwerpunktgebiet der II. Medizinischen Klinik ist die Sportkardiologie. In Coburg werden teilweise auch Extremsportler, zum Beispiel Wüsten-


marathonläufer, betreut. „Solche Sportler unterliegen natürlich ganz besonderen Anforderungen. Uns steht in unserer Abteilung auch eine Spiroergometrie zur Verfügung, um Spitzensportlern eine Optimierung ihrer Leistungsreserven zu ermöglichen.“ Eine kompetente kardiologische Betreuung ist übrigens nicht nur für Leistungs-, sondern auch für Hobbysportler, die nach einer längeren Ruhephase wieder anfangen möchten, sich sportlich zu betätigen, sehr wichtig: Sie sollten sich von ihrem Haus- oder Facharzt unbedingt kardiovaskulär untersuchen lassen, um Risiken auszuschalten. „Wenn jemand längere Zeit etwas ‘eingerostet’ war, ergeben sich häufig auch Veränderungen im kardiologischen Befund“, weiß Prof. Brachmann. Ferner bietet seine Abteilung ein Check-up-Programm an, in dessen Rahmen die Patienten sich an einem Nachmittag komplett durchuntersuchen lassen können. Der Check-up dauert nicht länger als drei Stunden und ist so gut organisiert, dass der Patient dabei keine fünf Minuten lang im Wartezimmer sitzt, sondern von Untersuchung zu

ten seiner Mitarbeiter ist er stets offen: „Neulich bekam ich von meiner Assistentin eine Liste vorgelegt, wie viele Tage ich in letzter Zeit weg gewesen sei. Denn natürlich bin ich viel unterwegs – auf medizinischen Kongressen und um berufliche Kontakte zu pflegen. Zuerst habe ich mich darüber geärgert, im Nachhinein aber doch eingesehen, wie wichtig dieser Hinweis war. So viel Zivilcourage erwarte ich von meinen Mitarbeitern – dass sie mich sofort darauf hinweisen, wenn sie ein Problem mit mir haben. Und die nehmen da zum Glück auch kein Blatt vor den Mund.“ Im letzten Jahr hat Johannes Brachmann mit seinem Team das zehnjährige Bestehen der Kardiologie unter seiner Ägide gefeiert – mit Büfett und Live-Musik in einem eigens für diesen Anlass gemieteten Lokal. Auch sonst wird Kooperation in Coburg großgeschrieben. Die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus anderen Abteilungen und mit der Geschäftsleitung ist sehr gut: „Wir haben hier an der Klinik einen wöchentlichen Jour fixe: Einmal pro Woche findet ein Treffen aller Chefärzte mit dem Geschäftsführer statt. Da werden Probleme offen

Untersuchung geht – optimal für Führungskräfte mit vollem Terminkalender. Die Coburger Kardiologie ist auch am Kardio-Pro-Projekt der Siemens-Betriebskrankenkasse beteiligt, einem integrierten Versorgungsprojekt zur Früherkennung und Frühbehandlung kardiovaskulärer Risikopatienten. Zusammen mit Prof. Michael Block von der Klinik Augustinum München sitzt Brachmann im Steering Committee dieses Projekts.

und freundschaftlich diskutiert. Dieses angenehme Arbeitsklima empfinde ich als einen wesentlichen Teil unserer Lebensqualität hier.“ Der Kontakt zu den ärztlichen Kollegen ist ausgezeichnet. Immer wieder lädt Brachmann Ärzte zu Fortbildungsveranstaltungen und Schulungen auf dem Gebiet der Elektrophysiologie ein. Und alle zwei Jahre findet in Coburg das Internationale Symposium über Vorhofflimmern („Update Atrial Fibrillation“) statt, eine Tagung, die Brachmann gemeinsam mit Dr. Marrouche leitet und die von Kardiologen aus aller Welt besucht wird. Bereits fünfmal hat Brachmann dieses wichtige Symposium in Coburg ausgerichtet. „Wir haben es auch vielen Kollegen, die zu uns nach Coburg kamen, ermöglicht, sich hier ‘in work’ fortzubilden und weiterzuentwickeln. Auch durch solche Laufbahnmöglichkeiten zieht man gute Mitarbeiter an. Am Anfang gab es große Diskussionen darüber, ob wir damit nicht quasi unser Wissen verschleudern; aber wir haben dadurch jetzt auch viel mehr Kooperationspartner: Inzwi-

Kooperation statt Konkurrenz Wie Johannes Brachmann es geschafft hat, aus dem Nichts heraus eine der führenden Kardiologien Europas aufzubauen? Neben seiner Kompetenz und seinem unermüdlichen Engagement ist dies nicht zuletzt auch seinem hochmotivierten Team und dem positiven Arbeitsklima in der Coburger Kardiologie zu verdanken. „Es macht mir großen Spaß, mit Menschen zu arbeiten“, sagt Brachmann und setzt bei der Führung seines Teams auf einen sehr partnerschaftlichen Umgangston. Auch für Kritik vonsei-

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mologie ist. Zwar werden auch in Coburg regelmäßig Patienten auf Schlafapnoe gescreent, im Bedarfsfall aber zu einer weiterführenden Diagnostik und Therapie nach Sonneberg geschickt. Auch bei der Durchführung der ServeHF-Studie, die den Stellenwert der adaptiven Servoventilation in der Therapie der zentralen Schlafapnoe bei chronischer Herzinsuffizienz untersucht und an der die Coburger Kardiologie beteiligt ist, arbeitet Brachmann mit dem Schlaflabor in Sonneberg zusammen.

schen sind elf Kollegen, die vorher in meiner Abteilung tätig gewesen sind, in leitende Stellen an anderen Kliniken gewechselt.“ Zu kooperieren, statt sich voneinander abzugrenzen und eifersüchtig auf den Erfolg des Anderen zu schielen, macht sich langfristig eben doch bezahlt. Die Hausärzte seines Einzugsgebiets lädt Prof. Brachmann seit 2006 regelmäßig mittwochnachmittags zur Hospitation bei seinen Herzkatheter- und MRT-Untersuchungen ein, hält anschließend einen Vortrag und beantwortet Fragen. Von diesem Fortbildungsangebot machen die Ärzte gerne Gebrauch und schicken dann natürlich auch ihre Patienten vertrauensvoll in die Coburger Kardiologie. Durch frühzeitige Zusammenarbeit mit den umliegenden Kliniken entstand ein reger Austausch, aus dem als Konsequenz der regioMed-Verbund entstanden ist. regioMed ist der erste bundesländerübergreifende Verbund öffentlicher Krankenhäuser, wobei die vier Landkreise, die daran beteiligt sind, sich gleichzeitig auch noch über die Grenzen zu den neuen Bundesländern hinweg erstrecken: In zwei Landkreisen in Bayern (Lichtenfels und Coburg) und zwei Landkreisen in Thüringen (Hildburghausen und

Engagement für die Forschung

Sonneberg) gibt es regioMed-Kliniken. Die bisher insgesamt sechs Kliniken haben sich zu einer Holding zusammengeschlossen und agieren seit dem 1. Januar 2008 offiziell gemeinsam. „Unser Ziel ist es, eine gemeinsame Leistungsabstimmung herbeizuführen und auch unterschiedliche Schwerpunkte zu etablieren. Die II. Medizinische Klinik in Coburg ist das kardiologische Zentrum dieser Kooperation. Wir haben aber auch der Kardiologie in Hildburghausen ein Herzkatheterlabor zur Verfügung gestellt, damit auch diese Klinik in ihrem Einzugsgebiet Patienten betreuen kann. Und vor kurzem ist auch noch ein Katheterlabor in Lichtenfels entstanden. Die schwierigen Fälle werden aus diesen Krankenhäusern nach Coburg verlegt.“ Nach dem Motto „Kooperation statt Konkurrenz“ konzentriert jede Klinik sich auf einen anderen Schwerpunkt, sodass man sich gegenseitig nicht in die Quere kommt. So hat das Klinikum Coburg kein eigenes Schlaflabor, sondern kooperiert zu diesem Zweck mit dem Schlaflabor der Klinik in Sonneberg, deren Schwerpunktgebiet die Pneu-

Studie CRYSTAL-AF beteiligt. Im Rahmen dieser Studie werden Patienten, die schon einmal einen Schlaganfall hatten, ohne dass sich eine eindeutige Ursache dafür finden ließ, Ereignisrecorder implantiert, um im Langzeitverlauf festzustellen, ob sie unter Vorhofflimmern leiden; denn es gibt Daten, die darauf hinweisen, dass ein nur gelegentlich auftretendes Vorhofflimmern ebenfalls ein hohes Schlaganfallrisiko mit sich bringt. Coburg ist leitendes Zentrum dieser Studie, die 2008 angelaufen ist; erste Ergebnisse werden 2011 erwartet. Ferner laufen in der II. Medizinischen Klinik des Klinikums Coburg große Studien zum Thema DE-Stents, zur Resynchronisationstherapie und zur Schrittmacherbehandlung bei therapierefrektärem Blutdruck. Auch an Projekten des Gender Research, also der Frage nach Geschlechtsunterschieden bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ist Brachmann beteiligt – ein wichtiges Thema, denn Frauenherzen schlagen nicht nur anders (Frauen haben schwerere Herzinfarkte und eine höhere Infarktsterblichkeit), son-

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Auch sonst engagiert seine Abteilung sich sehr für die klinische Forschung: „Wir haben durch unsere große Studienabteilung mit insgesamt zehn Mitarbeitern die Möglichkeit, alle Patienten, die zu uns kommen, auf eine mögliche Teilnahme an verschiedensten Studien zu screenen. Momentan laufen bei uns 72 Studien, die alle auf hohem Niveau betreut werden.“ Neben der SERVE-HF-Studie zur wichtigen Fragestellung der Therapie der Cheyne-Stokes-Atmung bei Herzinsuffizienz-Patienten ist Coburg unter anderem auch an der


dern sind außerdem als Patientinnen in der Kardiologie deutlich unterrepräsentiert: „Ihnen wird seltener ein ICD eingesetzt, der Herzinfarkt wird bei ihnen später erkannt und auch weniger ernst genommen, weil sie weniger typische Symptome haben – mit dem Ergebnis, dass sie später ins Krankenhaus kommen und dadurch ein schlechteres Outcome haben als Männer.“ Auch um diese intensive Forschungstätigkeit zu ermöglichen, musste Brachmann, der Mitglied in der Klinischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und in der Kommission der Heart Rhythm Society (der weltweit bedeutendsten Elektrophysiologen-Vereinigung) ist, in Coburg erst einmal eine Menge Überzeugungsarbeit leisten: „Ich musste den Leuten klarmachen, dass es wichtig ist, zu Tagungen zu fahren, Vorträge zu halten, Studien in die Klinik zu ziehen. Speziell bei letzterem Thema galt es zunächst einmal, Vorurteile zu überwinden nach dem Motto: ‘Wir möchten nicht, dass unsere Patienten hier Versuchskaninchen sind’.“

Wenig Zeit für Privatleben Eigentlich wollte der gebürtige Kieler, der im kleinen Städtchen Preetz in Schleswig-Holstein aufgewachsen ist, Mathematiker oder Physiker werden. Dass er dann irgendwann doch noch eine Kehrtwende gemacht und sich zum Medizinstudium entschlossen hat, freut ihn im Nachhinein, denn hier kann er vieles bewirken. „Ich glaube, wir haben in der Kardiologie nach wie vor viel Innovationspotenzial. Vieles, was heute noch herzchirurgisch durchgeführt wird, wird man in Zukunft katheterinterventionell behandeln können. Und ich denke auch, dass die Bildgebung die einfache kardiologische Diagnostik durch den Katheter ersetzen wird. Wahrscheinlich wird das MRT dabei eine ganz führende Rolle spielen. Ich finde, wir haben bei einer Erkrankung, an der nach wie vor die Hälfte aller Menschen stirbt, eine ganz besondere Verpflichtung, neue Wege zu gehen.“ Dass ihm die Arbeit mit Menschen so sehr liegt und dass er es schafft, das Fachpublikum immer wieder mit spannenden Vorträgen und Fortbildungsveranstaltungen mitzureißen, ist die zweite große Überraschung, wenn man seine Biografie betrachtet: „Als Schüler war ich extrem schüchtern“, erzählt Brachmann. „Einmal sollte ich eine Nebenrolle in einem Theaterstück meiner Schule spielen und musste ausgetauscht werden, weil ich kein Wort herausbrachte.“ Vorträge vor großem Publikum zu halten, musste er erst lernen: „Früher bekam ich schon bei der bloßen Vorstellung, ich müsste vor zehn Leuten über irgendein Thema referieren, einen Schweißausbruch.“ Und die dritte positive Überraschung ist die Tatsache, dass er sich überhaupt dazu entschlossen hat, sein Tätigkeitsfeld wieder nach Deutschland zu verlagern. Nach seinem Medizinstudium und dem Beginn seiner medizinischen Laufbahn an der Universitätsklinik Heidelberg erhielt

Brachmann ein zweijähriges DFG-Stipendium in den USA. „Dort bekam ich sehr wichtige Impulse und bin daher auch immer ein großer Freund Amerikas geblieben.“ In Oklahoma City, wo er im Rahmen seines Stipendiums an einer der hochkarätigsten elektrophysiologischen Abteilungen tätig war, begann er sich erstmals mit der Katheterablation zu beschäftigen. „Wäre ich damals nicht schon mit meiner Frau verbunden gewesen, so wäre ich wahrscheinlich in den USA geblieben.“ Die Rückkehr in die deutsche Hochschulwirklichkeit war ein Kulturschock für ihn; doch heute ist er glücklich darüber, die Kardiologie in Coburg aufgebaut zu haben, und möchte von dort nicht mehr weg. Natürlich hat er noch große Pläne für die Zukunft: Projekte mit einer transportablen Herz-LungenMaschine und mit Herzklappenstents sind in der Planung, ebenso ein Genetikprojekt bei Frauen mit Angina pectoris und unauffälligen Koronararterien. „Man darf sich nie mit dem Erreichten zufriedengeben.“ Kein Wunder, dass bei dieser geballten Ladung an beruflichen Aktivitäten für Hobbys nicht mehr viel Zeit bleibt. Johannes Brachmann hat zwar eine ganze Reihe von Steckenpferden, denen er sich allerdings aus zeitlichen Gründen nicht mit der gewünschten Intensität widmen kann. So fasziniert ihn beispielsweise die Astronomie, und wenn er Zeit hat, betrachtet er den Sternenhimmel bei sich zu Hause durch ein kleines Teleskop. Auch für Archäologie und Paläontologie hat er sich schon immer sehr interessiert, und die Sehenswürdigkeiten ferner Länder reizen ihn ebenfalls. Das Schachspielen, das er früher mit großer Leidenschaft betrieben hat, musste er inzwischen leider der Intensität seiner beruflichen Tätigkeit opfern. Und dann ist da natürlich auch noch seine Familie – seine Frau und die drei Töchter, die nicht immer begeistert darüber sind, dass ihr Vater so oft weg ist und wenig Zeit für sie hat. Aber dafür fördert er sie in all ihren Hobbys und Interessen: „Wir haben allen unseren Kindern klargemacht, dass dies etwas sehr Wesentliches ist, was sie von uns erwarten dürfen: eine gute Ausbildung und auch die Chance, sich Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf Gebieten anzueignen, für die sie sich interessieren – und zwar ohne dass wir versuchen, sie in eine bestimmte Richtung zu drängen. Natürlich wünscht man sich als Vater das eine oder andere und glaubt auch Talente zu erkennen; aber schließlich müssen die Kinder, wenn sie erwachsen sind, ihren Beruf 40 Jahre lang ausüben. Außerdem wird es heutzutage immer schwieriger, jemandem zu raten, wie er sich beruflich orientieren soll. Deshalb sind Motivation und das Interesse am Fach für mich ausschlaggebend. Wenn jemand sagt: ‘Ich will Anwalt werden, weil ich das Gefühl habe, diesen Beruf mit Leib und Seele ausüben zu können’, dann sollte er auch Jura studieren – egal, wie viele junge Menschen außer ihm diese Ausbildung noch machen. Gute Leute finden immer einen Job.“

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as Herz ist ohne Zweifel das bei allen Völkern bekannteste Organ, von dem bereits die paläolithischen Felszeichnungen in Asturien zeugen. Schon früh entwickelte sich die Vorstellung, dass das Herz Sitz der Seele, des Gemüts, der Liebe, aber auch des Verstandes sei. Für Aristoteles war das Herz Quelle jeder Bewegung, da sich im Herzen die Seele mit den Organen verbindet. Andererseits wurden bereits früh organisch bedingte Herzerkrankungen erkannt, wie die Erstbeschreibung der Angina pectoris durch Seneca (4 v. Chr.–62 n. Chr.) beweist. Die eigentliche Geschichte der Kardiologie beginnt erst viele Jahrhunderte später, nämlich 1628 mit der Entdeckung des Blutkreislaufs durch William Harvey. Ihre formale Präsenz erfuhr die Kardiologie dann in den 20er Jahren durch die Gründung nationa-

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ler Gesellschaften. 1950 wurde schließlich die Internationale Kardiologische Gesellschaft gegründet und „ordinariabel“ bzw. „chefarztfähig“ wurde die Kardiologie, zumindest hierzulande, erst nach Ende des 2. Weltkriegs. Die klinische Kardiologie umfasst heute Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Herz- und Kreislauferkrankungen. Wesentliche technische Einsatzbereiche beziehen sich auf die Herzkatheterdiagnostik, die Schrittmachertechnologie, die kardiologische Intensivmedizin und – besonders in praktisch-klinischer Hinsicht – die Elektrokardiographie. Briefmarken bilden einen der spannendsten und vielseitigsten Spiegel der Medizingeschichte. Ihre Themen erzählen das, was uns bewegt, und selbst aus kleinen Andeutungen lassen sich ganze Geschichten lesen. Es ist erstaunlich, wie


Philatelistische Reise durch die Kardiologie Berndt Lüderitz

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viele Entdeckungen aus Briefmarken abzuleiten sind und was alles – unter fachkundiger Anleitung – aus den Postwertzeichen ablesbar ist. Große Ereignisse werden ebenso dokumentiert wie Jubiläen und Gedenktage. Ganze Entwicklungslinien sind mit der gezielten Auswahl philatelistischer Kostbarkeiten nachzuvollziehen. Die Philatelie ist weit mehr als ein Hobby. Gerade die Kardiologie begegnet uns illustrativ und aussagefähig auf den kleinen Kunstwerken der Briefmarke. Ein besonderer Reiz besteht daher darin, die Lehre der Herz- und Kreislauferkrankungen auf Briefmarken nachzuerleben und wie in einem Lesebuch neu und anschaulich zu verstehen. Die ebenso faszinierende wie dramatische Entwicklung der Kardiologie findet ihren Niederschlag quasi ikonographisch auf den wenigen Quadratzentimetern, die eine Briefmarke

zur graphischen Gestaltung zulässt. Postwertzeichen sind also nicht nur dokumentierte Quittungen eines bezahlten Brief- oder Pakettransports; Die Motive reflektieren den aktuellen Zeitgeist, aber ebenso die Vergangenheit, das künstlerische Schaffen vieler Jahrhunderte, die politische Entwicklung früherer Zeiten und die der Gegenwart (einschließlich mannigfachen propagandistischen Missbrauchs), aber eben auch gesellschaftspolitische Anliegen einschließlich derer des Gesundheitswesens. Dass die HerzKreislauf-Erkrankungen als dominierende Größen weltweiter Todesursachenstatistiken hier einen besonderen Platz einnehmen, liegt auf der Hand. Das Gesicht der Marken hat sich im Laufe der Jahre wesentlich geändert: Die kleinen bunten Papierstückchen wurden immer illustrativer und informativer, aber auch schöner in

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Dr. h. c. Berndt Lüderitz Im Mühlenbach 2b 53127 Bonn Tel.: 02 28/62 33 24 Fax: 02 28/61 68 81 kontakt@bonn-kardiologie.de

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Farbe und Darstellung. So ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen in aller Welt Gefallen an diesen Bildchen finden, die häufig genug zu kleinen Preziosen geraten. Dieser Prozess ist naturgemäß begleitet von der Freude am systematischen oder auch motivorientierten Sammeln von Postwertzeichen – einer Leidenschaft, die bei manchen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen zur Passion wurde.

binden (s. o.), wohingegen ansonsten die alten Griechen die Seele im Zwerchfell lokalisierten. Der aus dem Altgriechischen abgeleitete Terminus Schizophrenie erinnert noch heute daran. Aristoteles kann zudem als Vater der Rhythmologie angesehen werden, denn er erkannte bereits vor mehr als 2000 Jahren: „Leben beginnt mit dem ersten und endet mit dem letzten Herzschlag“.

Hippokrates von Kos

Paracelsus

Als Urvater der naturwissenschaftlichen Medizin gilt Hippokrates von Kos (466– 377 v. Chr.). Er entstammte als siebter Spross der Ärztedynastie der Asklepiaden. Väterlicherseits lässt sich seine Herkunft auf Asklepios, den Gott der medizinischen Wissenschaft in der griechischen Mythologie, zurückführen. Hippokrates – als Nachfahre von Asklepios (Abb. 1) – gilt als bedeutendster medizinischer Genius der Geschichte (Abb. 2–3). Er lehrte seine Schüler auf der Insel Kos unter einer Platane, die nach mehr als 2000 Jahren bis heute erhalten sein soll (Abb. 4). Unsterblich blieb Hippokrates durch den nach ihm benannten Eid als ethische Grundlage des ärztlichen Berufsstandes. Die empirische Betrachtungsweise der Heilkunst wurde von den Nachfolgern des Hippokrates, den Dogmatikern, wieder verlassen. Sie wandten sich wieder der Spekulation zu; bisherige anatomische und physiologische Erfahrungen wurden verworfen. Nach Aristoteles (384–322 v. Chr.) (Abb. 5) war das Herz Zentrum des Nervensystems. (Weil er im bebrüteten Ei das Herz als einen roten Punkt gesehen hatte, glaubte Aristoteles, die Intelligenz wie auch die Gefühle hier hineinverlegen zu müssen.) Aristoteles erkannte das Herz als das Organ, in dem sich Körper und Seele ver-

Aureolus Philippus Theophrastus Bombastus von Hohenheim (1493–1541) nannte sich selbst Paracelsus nach dem römischen Gelehrten Celsus (Abb. 6–8). Paracelsus wurde in Einsiedeln (Schweiz) geboren, lebte und arbeitete u. a. in Basel, bereiste die Schweiz, Deutschland und Österreich und verstarb 1541 in Salzburg, wo er auf dem Friedhof St. Sebastian begraben ist. Er lehrte in deutscher und nicht in lateinischer Sprache, was seinerzeit als geradezu revolutionär galt. Paracelsus verbrannte öffentlich die Schriften von Galen und Avicenna, um damit eine falsche Buchgelehrsamkeit zu verwerfen. Er war der Philosophie sehr verhaftet und hatte zudem eine starke Neigung zu Geheimwissenschaften. Seine Heilmittellehre erweiterte er durch volksmedizinische Elemente aus der Welt der Kräuterweiber, Bader und Schwarzkünstler. Er stützte sich überdies auf die Astrologie und Signaturenlehre. Paracelsus wird als Zeuge vielfältiger therapeutischer Richtungen in Anspruch genommen, insbesondere von den Anhängern der Naturheilkunde (z. B. im III. Reich). Von Bedeutung sind auch heute noch seine initialen Therapieversuche mit Nitraten.

William Harvey Als Entdecker der Blutzirkulation bzw.


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des Blutkreislaufs in unserem heutigen Verständnis gilt William Harvey (1578– 1657) (Abb. 9). Harvey wurde in Folkestone, Grafschaft Kent, am 1. April 1578 geboren. 1598 begann er in Padua mit dem Studium der Medizin. Zum Doktor der Medizin promovierte er 1602 ebenda, im Jahre 1628 veröffentlichte Harvey nach langjähriger Forschungsarbeit sein berühmtes Werk „Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus“ in Frankfurt am Main. Seine experimentellen Arbeiten an Warm- und Kaltblütern bildeten dabei die Grundlagen seiner Exercitatio, die die bisher geltenden Anschauungen über die Funktion der Gefäße und des Herzens widerlegten und schließlich zur Darstellung der Blut- und Herzbewegung führten. Dieses Werk löste die galenische Lehre von der Blutbewegung ab und begründete unsere heutige Vorstellung vom Kreislauf und seinen peripheren Pulsen. Zu Harveys Großtaten zählt u. a. die frühe Erkenntnis, dass der Herzschlag im rechten Atrium seinen Ursprung hat – ein wesentlicher Aspekt zum Verständnis des Vorhofflimmerns als häufigster Rhythmusstörung im Erwachsenenalter.

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richte über den Erfolg seiner Methode eine späte Genugtuung. 1816 kam René Théophile Hyacinthe Laennec (1781–1826) auf den Gedanken der Herzauskultation. Er gilt als Entdecker des Stethoskops („Brustbetrachter“). Wegen eines beleibten Patienten rollte er Papier zusammen, um die Herztöne besser wahrnehmen zu können, später konstruierte er ein Buchenholzrohr. Laennec verfeinerte auch die Diagnostik der Mitralinsuffizienz, deren Auskultationsgeräusch er „Katzenschnurren“ nannte, und stellte ihre funktionelle Natur fest. Mit diesen beiden Grundlagen der Perkussion und der Auskultation beginnt die eigentliche Erforschung der Herzkrankheiten (Abb. 11). Das Stethoskop ist heute geradezu zum Symbol ärztlicher Tätigkeit geworden (Abb. 12). Laennec hatte bereits das Vorhofflimmern als wichtiges Symptom von Herzklappenfehlern erkannt. Er diagnostizierte und konstatierte die Variationen der kardialen Kontraktionen mit und ohne tastbaren Pulsschlag („Pulsdefizit“).

Willem Einthoven Am 23. Mai 1860 wurde Willem Eintho-

Auenbrugger und Laennec Leopold von Auenbrugger (1722–1809) war Arzt am spanischen Hospital in Wien (Abb. 10). Der Sohn eines Gastwirts entwickelte über acht Jahre eine Perkussionsmethode des menschlichen Thorax, die offenbar durch ihre Einfachheit so verdächtig war, dass ihr Autor seines Amtes als Spitalarzt am Militärkrankenhaus enthoben wurde. Erst gegen Ende seines Lebens, als Auenbrugger sich längst von ärztlicher Tätigkeit zurückgezogen hatte und sich mit dem Schreiben von Opernlibrettos befasste, erfuhr er durch die Be-

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den Nobelpreis für Medizin. Auf der Abb. 14 ist rechts neben Einthoven Frank Wilson (1890–1952) dargestellt, der aufbauend auf der Methode Einthovens, der bereits die Ableitungen von Armen und Beinen nutzte, eine einpolige Elektrode für den vorderen Herzbereich einführte (Wilson’sche Brustwandableitung). Die Briefmarke ist die Wiedergabe eines Ausschnitts des Wandgemäldes von Diego Rivera im Kardiologischen Institut in Mexiko City, das er den Pionieren der Kardiologie widmete.

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Felix Hoffmann

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ven (1860 – 1927) als Sohn eines Militärarztes in Semarang auf Java geboren (Abb. 13, 14). Er entstammt einer jüdischen spanischen Familie, die in die Niederlande auswanderte und dort den Namen Einthoven (mit t) anstelle der holländischen Stadt Eindhoven (mit d) annahm. 1901 beschrieb Einthoven zum ersten Mal sein weiterentwickeltes Galvanometer und machte es durch eine Publikation 1903 einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Obwohl die qualitative und quantitative Messung des Pulses als Anfang der Arrhythmiediagnostik verstanden werden kann, wurde die eigentliche Erfassung von Herzrhythmusstörungen erst durch die Elektrokardiographie mittels des von Einthoven weiterentwickelten Saitengalvanometers eingeleitet. Die Elektrokardiographie wurde schließlich von höchster Bedeutung für die Lehre von den Rhythmusbzw. Reizbildungs- und Erregungsleitungsstörungen im Herzen. Einthoven erhielt 1924 für die Entwicklung des Saitengalvanometers als Pionier der Elektrokardiographie

Dr. Felix Hoffmann (1868–1946) synthetisierte am 10. August 1897 in den Bayer Laboratorien in Wuppertal eine reine und stabile Form von Acetylsalicylsäure. Der Wirkstoff wurde vorerst als Anti-Rheumaprodukt entwickelt. Am 6. März 1899 wurde die Acetylsalicylsäure unter dem Handelsnamen Aspirin in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes eingetragen. Das A steht für Acetyl, Spir wurde von Spiraea ulnaria abgeleitet, deren Spirsäure mit der Salicylsäure chemisch identisch ist (Abb. 15–17). Die Silbe „in“ wurde seinerzeit Arzneimitteln mehrheitlich (quasi routinemäßig) angefügt. Dieses Medikament wurde unter dem dergestalt zusammengesetzten Handelsnamen Aspirin zu einem grandiosen weltweiten Erfolg. Nach verlässlichen Berichten arbeitete Hoffmann unter Anleitung von Arthur Eichengrün, der als eigentlicher Entdecker der Acetylsalicylsäure gilt. Sein Name wurde von den Nationalsozialisten wegen dessen jüdischer Herkunft unterschlagen. Aufgrund der von A. Eichengrün 1944 im Konzentrationslager Theresienstadt verfassten eigenständigen Berichte kann kein Zweifel an der wahren Urheberschaft des Aspirins bestehen. Der Wirkstoff erfuhr eine rasante Karriere und ist aus der modernen Therapie der koronaren Herzkrankheit einschließlich PTCA und Stentimplantation nicht mehr wegzudenken.

Digitalis und Chinin Im Jahr 1250 wurde von walisischen Ärzten erstmals der Fingerhut als Heilpflanze erwähnt, und 1542 erfolgte die

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erste Beschreibung von Digitalis purpurea (Roter Fingerhut) (Abb. 18, 19) von Leonhardt Fuchs (1501–1566) in seinem berühmten Kräuterbuch von 1542. 1785 wurde die Herzwirkung der Digitalis purpurea von dem englischen Arzt William Withering (1741–1799) in seinem weithin bekannt gewordenen Buch „An account of the foxglove and some of its medical uses: with practical remarks on dropsy and other diseases“ beschrieben. Er berichtet darin über seine 10-jährigen Beobachtungen und Erfahrungen mit der Heilpflanze Digitalis purpurea an zahlreichen Patienten mit Wassersucht. Withering leitete den eigentlichen Beginn der Digitalis-Therapie ein. Der von ihm hergestellte Extrakt aus der Pflanze wirkt auf das Herz in einem Maße ein, wie es bisher bei keinem Heilmittel beobachtet werden konnte. Weitere 100 Jahre nach Witherings Publikationen wurde 1885 das Strophanthin isoliert, ein herzwirksames Glykosid, das aus Strophantuspflanzen stammt und bei verschiedenen afrikanischen Stämmen als Pfeilgift benutzt wird. Nachdem es Albert Fraenkel 1906 gelungen war, Strophanthin in injizierbarer Form herzustellen, gewann die Glykosid-Therapie in der Kardiologie in Deutschland zunehmend an Bedeutung (Abb. 20). Herzwirksame Glykoside sind außer in Digitalis purpurea und Digitalis lanata (Wollhaariger Fingerhut) und im Samen von Strophanthus gratus und kombé auch n der Zwiebel von Urginea (Scilla) maritima (Meerzwiebel), in Nerium oleander (Rosenlorbeer) und in Convallaria majalis (Maiglöckchen) (Abb. 21) enthalten. Heute haben die aus Pflanzen gewonnenen Glykosidextrakte nur noch in der Phytopharmakotherapie Bedeutung, während ansonsten voll synthetische Reinglykoside verwendet werden. Die Chinarinde mit ihrer Vielzahl von Arten wie Cinchona ledgeriana, Cinchona succirubra (Chinarindenbaum) u. a., die als peruvianische Rinde oder Jesuitenrinde bekannt war, erhielt ihren Gattungsnamen Cinchona nach der Gräfin Chinchon. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Rinde von Jesuiten aus Peru nach Europa importiert und hier zur Malariatherapie eingesetzt. Bereits im 18. Jahrhundert wurde auf die günstige Wirkung der Chinarinde

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bei Herzklopfen hingewiesen. Im 19. Jahrhundert wurde die Chinarinde bereits zur Therapie von Herzrhythmusstörungen eingesetzt. 22 1820 isolierten Pierre Joseph Pelletier und Joseph-Bienaimé Caventou das Chinin (Abb. 22). 1914 beschrieb Wenckebach die Wirkung von Chinin bei Vorhofflimmern, das er bei einem Patienten durch Gabe von 1 g Chinin beseitigen konnte. Durch Walter Frey wurde dann 1918 das Chinidin, ein optisches Isomer des Chinins, endgültig in die antiarrhythmische Therapie eingeführt.

Kunst und Herz Die Abbildung 23 zeigt ein von Pablo Picasso im Alter von 14 Jahren gemaltes Bild von 1895 (nicht 1897, wie auf der Marke fälschlich vermerkt) „Wissenschaft und Nächstenliebe“ – Sience et Charité! – (Charity and Science). Es zeigt einen ganz in die Pulsmessung vertieften Arzt, dargestellt von seinem Vater (der Kunstmaler und keineswegs Arzt war). Das Kind blickt angstvoll auf die offenbar todkranke Patientin. Der Marken-Block wurde zu Ehren Picassos (1881–1973) von der Postverwaltung Obervoltas herausgegeben. Das Originalgemälde befindet sich im PicassoMuseum in Barcelona. Eine Besonderheit stellt die in Abbildung 24 a und b wiedergegebene Marke dar. Zum Valentinstag im Februar jeden Jahres darf in Frankreich ein Meister der Modebranche eine Briefmarke entwerfen. Im Jahr 2008 wurde dieses Privileg dem Modepapst Franck Sorbier zuteil, der eine Sondermarke zum Thema „Leben“ in Herzform gestaltete (Abb. 24 b). Dabei ist die Einzelmarke gleichermaßen ansprechend wie der ästhetisch überaus gelungene FünferBlock mit Signatur. Offenbar handelt es sich nicht um eine Freimarke im engeren Sinne (ein Nennwert wird nicht angegeben), sondern um eine Begleitdeklaration „Lettre prioritaire 50 g“.

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Buchbesprechungen Elektrophysiologie: Wissen aus der Praxis für die Praxis Inzwischen ist dank der Fortschritte in der modernen Elektrophysiologie bei etlichen Herzrhythmusstörungen bereits eine Heilung möglich. Doch kardiale Kathetermanipulationen und der Einsatz von Energie an intrakardialen Stellen sind nicht risikolos. Diese Therapieverfahren erfordern eine adäquate Diagnostik, das genaue Auffinden der richtigen Ablationsstellen und auch große Fingerfertigkeit in der Handhabung von Kathetern. Leider steht heutzutage der therapeutische Erfolg oft so sehr im Vordergrund, dass die Zeit für die richtige Diagnostik im elektrophysiologischen Labor häufig zu kurz kommt. Nur allzu oft wird nach der zweifelhaften Devise „Learning by burning“ abladiert, was häufig zu wiederholten elektrophysiologischen Untersuchungen und Interventionen führt, die vermeidbar wären. Die Herausgeber des „Kursbuchs Kardiologische Elektrophysiologie“ plädieren entschieden für das Prinzip „Burning after learning“: Elektrophysiologisches Wissen sollte unabdingbare Voraussetzung für therapeutisches Handeln sein. Dieses Buch vermittelt seinen Lesern alles nötige Wissen um das richtige Vorgehen in der Diagnostik und Therapie von ventrikulären und supraventrikulären Tachykardien, wobei das Thema „Ablation bei Vorhofflimmern“ hier bewusst ausgeklammert wurde, weil auf diesem Gebiet derzeit kein invasives Therapieverfahren den Anspruch auf medizinischen Standard erheben kann. Das Buch wendet sich an den elektrophysiologisch interessierten Arzt und das gesamte Team elektrophysiologischer Labore.

Dr. med. Peter Langkafel, Dr. phil. Christian Lüdke Breaking Bad News Das Überbringen schlechter Nachrichten in der Medizin 108 Seiten Economica Verlag, 2008 ISBN: 978-3-87081-636-0 Preis: EUR 29,00

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Dr. med. Marcus Wieczorek (hrsg.) Kursbuch Kardiologische Elektrophysiologie schnell verstehen – sicher umsetzen 241 Seiten, 321 Abbildungen, 4 Tabellen Georg Thieme Verlag Stuttgart • New York, 2009 ISBN: 978-3-13-145281-8 Preis: EUR 129,95

Schlechte Nachrichten richtig überbringen Tagtäglich werden Menschen im Krankenhaus mit Nachrichten konfrontiert, die ihre Lebensplanung dramatisch in Frage stellen, verändern oder zerstören. Die Diagnose „Krebs“ ist nur eine davon. Meist ist die Tatsache an sich schon ein schwerer Schicksalsschlag. Doch noch schlimmer: Solche Nachrichten treffen die Menschen oft völlig unvorbereitet, auf Fluren, unter Zeitdruck. Und leider werden die Nachrichten oft erschreckend unprofessionell überbracht. Schlechte Nachrichten zu überbringen, ist keine leichte Aufgabe. Sie lösen einen Schock aus und bleiben für immer im Gedächtnis haften – sie sind wie ein Schlag mit dem Hammer auf den Kopf. Daher sollten sie sehr einfühlsam und behutsam überbracht werden. Denn die Art und Weise, wie eine schlechte Nachricht erstmals übermittelt wird, hat erheblichen Einfluss darauf, wie der Patient und seine Familie damit zurechtkommen. Viele Patienten wollen in so einer Situation zwei Dinge: Gewissheit und sichere Informationen. Und sie wollen die Möglichkeit haben, über ihre veränderte Lebenssituation zu sprechen und nachzudenken. Daher ist das Überbringen einer schlechten Nachricht in gewisser Weise ein therapeutischer Dialog. Das Buch „Breaking Bad News“ vermittelt eine einfache und wirksame Methode zur Überbringung solcher Nachrichten und veranschaulicht diese an vielen praktischen Gesprächsbeispielen und Checklisten. Es zeigt aber auch, wie Mediziner, die solchen belastenden Gesprächssituationen immer wieder ausgesetzt sind, sich selbst schützen können: Denn Helfen macht müde. Burnout, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch kommen in helfenden Berufen besonders häufig vor. Daher muss man, um den Arztalltag überleben zu können, „Psychohygiene“ betreiben und auf sein Frühwarnsystem achten. Denn Hoffnung und Zuversicht für den Patienten können nur von einer stabilen Arztpersönlichkeit ausgehen.




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